Serie (1) zur Uraufführung Eine sexuell aufgeladene Geschichte
Düsseldorf · Gespräch mit David Hermann, dem Regisseur der Oper „Schade, dass sie eine Hure war“.
Giovanni und Annabella sind Geschwister und lieben sich. Auch sexuell. Sie wird sogar schwanger von ihrem Bruder, muss aber, aus Angst vor Ächtung und Schmach, ihren Verehrer Soranzo heiraten. Als dieser noch vor der Hochzeit erfährt, dass seine Braut schwanger ist, dreht er durch und will sie töten. Giovanni jedoch kommt ihm zuvor, tötet seine Schwester. „Schade, dass sie eine Hure war“ heißt dieses moralfreie Theaterstück John Ford, das vor 380 Jahren einen handfesten Skandal erzeugte. Wen wundert’s, bei dieser provokanten Konstellation. Ähnlich 350 Jahre später, als in den 1980ern Jérôme Savary das Stück in Bonn inszenierte. Mit seiner Sprengkraft und seinen Moralverstößen, die das christliche Abendland auf die Palme brachte und zu Proteststürmen führte. Auf den blutigen Showdown, in dem Literweise Theaterblut fließt, wollte weder Savary verzichten (damals) noch heute David Hermann: Der renommierte Opernmacher (in Düsseldorf brachte er Verdis „Rigoletto“ heraus) setzt dieses elisabethanische Schauerdrama von 1830 jetzt in der Rheinoper in Szene setzt. Als Musikdrama, das Anno Schreier im Auftrag des Zwei-Städte-Instituts komponierte. Premiere ist am 16. Februar.
Eine Uraufführung im Opernhaus? Wahrlich eine Seltenheit. Zumal mit solch einer drastischen sexuell aufgeladenden Geschichte. Mit Inzest, amoralischen Elementen und Verhöhnung kirchlicher Würdenträger. Starker Tobak, wird mancher meinen. Ob ein Skandal bevorsteht? Was erwartet die Zuschauer? Fragen, die für unsere Zeitung Anlass genug sind, Macher und Interpreten im Rahmen einer Dreier-Serie zu befragen. Zu Beginn David Hermann, bundesweit als Opernregisseur tätig ist.
Zunächst: um welches Genre geht es? Tragödie, Farce, Travestie oder Klamotte? „Von allen ist etwas dabei“, verrät David Hermann. Das Libretto von Kerstin Pöhler halte sich nah am Original von John Ford. Zwölf teilweise überspitzten Figuren werden in echte, falsche und übertriebene Gefühle verwickelt - „all’ das, was die Oper am besten kann“, so Hermann. Die Geschwisterliebe wird in der Oper noch übersteigert: Giovanni und Annabella sind Zwillinge. „Meine Aufgabe ist es, diese überbordenden Gefühle zu dosieren.“
Wie das auf der Bühne funktionieren kann? „Die Figuren agieren auf vier Spielebenen.“ Zunächst geht es um Zwillings-Kinder, die unschuldig ihrem Instinkt folgen und lieben. In ihrer Welt, in der es erlaubt zu sein scheint, die Schwester zu lieben. „Ein Kinderstück“ sei das, wie in einem Traum dargestellt. Die zweite Ebene sei die der klassischen Oper mit einer auf die Spitze getrieben Romeo- und Julia-Geschichte. Daneben Mönch, Vater und der Verehrer Soranzo. Letzterer agiert auf der dritten Ebene – der modernen psychologischen Inszenierung. Er will Annabella und erscheint mit Bodyguard. Schließlich vereinen sich die Ebenen in einer Komödie. „Eine Studie über Affekte“, resümiert der Regisseur das Anliegen des Opernabends. Die vier Ebenen unterscheiden sich durch Ästhetik und Bühnenbilder (Ausstattung: Jo Schramm). Dadurch steigern sich Spannung und Fallhöhe.
Dennoch: Steht mit dem Sujet von geschlechtlicher Liebe zwischen Zwillingen ein Skandal ins Haus? Ein eindeutiges „Nein“. Hermann: „Wir wollen die Leichtigkeit bewahren. Und alles muss spielerisch wirken.“ Das ermögliche die Komposition, die frei mit verschiedenen Stilen spiele. Großes Orchester und Chor inklusive. „In manchen Momenten klingt die Komposition wie ein Musical, dann wieder wie eine Oper von Verdi.“ Leicht ‚verdaulich’ und abwechslungsreich jedenfalls sei es für Zuschauer, auch wegen der vielen, kurzen Szenen.
Was ist der Reiz an einer Uraufführung für einen Opernregisseur? „Hier die Mischung aus Bekanntem und Neuem“, so Hermann, der pro Jahr maximal drei Opern in Szene setzt, plus Wiederaufnahmen etwa in Berlin oder Karlsruhe, wo Arno Schreier seine Inszenierungen gesehen hat. Klar, dass sich Hermann akribisch auf diese Produktion vorbereitet hat. John Fords Theaterstück habe er gelesen. Danach habe Schreier ihm das Stück am Klavier vorgespielt. Ein großer Reiz besteht darin, sagt er, „bei den Proben mit den Sängern in manchen Passagen zu rätseln, was der Komponist wohl gemeint haben könnte.“
Im nächsten Teil stellen wir den Komponisten Anno Schreier vor.