Feuilletönchen: Die Kulturkolumne Das Glück des erstmaligen Hörens
Düsseldorf · In unserer heutigen Kolumne denkt unser Kulturredakteur über die Freuden beim Hören unbekannter Musik nach.
Kennen Sie das auch? Sie sitzen im Auto, hören Radio und auf einmal entzückt Sie ein Stück Musik, das soeben über den Äther geht, derart, dass Sie spüren, wie sich eine unbändige Begeisterung in ihrem Herzen breit macht. Musik indes, die sie noch niemals zuvor gehört haben, vielleicht dessen Schöpfer sie noch nicht kannten, oder auch wenn es um ältere Werke geht, auch Musik, die Sie vielleicht einfach bis zu dem Moment übersehen haben. Oder Sie besuchen ein Konzert, bei dem auch Musik erklingt, das ihnen gänzlich neu ist. Jene Momente, in denen man Musik, die es vielleicht auch schon länger gibt, in manchen Fällen vielleicht sogar schon Jahrhunderte, zum ersten Mal hört, für sich entdecken kann, sozusagen jungfräulich auf sich wirken lassen kann, sind ein ganz spezielles Phänomen. Wieso?
Dazu möchte ich zunächst gerne einige Worte darüber verlieren, wie wir Musik hören, wenngleich man mit Gedanken zu diesem Thema durchaus ganze Bibliotheken füllen könnte – ja nicht nur könnte, denn sie wurden mit derartigen musikphilosophischen Gedanken ausgiebigst gefüllt. Wenn wir Musik hören, ist es eigentlich ganz sonderbar, dass wir sie überhaupt als etwas Ganzes, als ein in sich geschlossenes Etwas, als ein Werk, als ein Stück oder dergleichen wahrnehmen können; denn in dem Moment, in dem sie erklingt, just in der Sekunde geht sie schon vorbei, schreitet weiter und verflüchtigt sich. Musik wahrnehmen heißt, zeitgleich zurückzublicken auf das Gehörte und vorauszuahnen was kommen mag. Dieses Rekonstruieren der Musik geschieht in unserem Gehirn auf eingeübte Weise ganz automatisch, wir formen die Musik durch die Kategorien, die wir erlernt haben oder die auch schon in unserer Natur stecken. Das bedeutet, dass wir, wenn wir Musik hören, die wir schon kennen, oder die nach einem Muster abläuft, was wir zuordnen können, eigentlich das Gehörte stets mit dem in unserem Kopf schon vorhandenen Muster abgleichen.
Doch wenn wir Musik hören, die ganz neu für uns ist, die sich nicht mit vorhandenen Mustern in unserem musikalischen Gedächtnis abgleichen lässt, so entsteht eine reizvolle, aufreizend prickelnde Unsicherheit. Dieses jungfräuliche Hören kann zu den wohl einnehmendsten musikalischen Erlebnissen gehören, die es gibt. In jeder Sekunde werden unser musikalischer Verstand und unsere dazu gekoppelten Gefühle gereizt, gleichzeitig versuchen wir eine Ordnung zu schaffen, das, was wir hören, abzugleichen mit Erinnerungen. Ein Prozess, der bei uns unbekannter Musik sehr befriedigend sein kann, insbesondere, wenn uns diese Musik auf eine Art und Weise packt, einen Nerv bei uns trifft. Nur Mut! Hören Sie immer wieder Neues – es lohnt sich!