Gelungen: Schneider Wibbel op Platt
Vor fast 100 Jahren wurde er zum ersten Mal auf einer Bühne aufgeführt. Jetzt zeigt das Schauspielhaus eine turbulente Version.
Düsseldorf. Wenn die Generalprobe schief geht, wird die Premiere umso besser. Frei nach der alten Theaterweisheit konnte also nicht mehr viel daneben gehen, als zwei Wochen vor der Premiere des „Schneider Wibbel“ die Katastrophe über das Ensemble hereinbrach. Regisseur Frank Panhans konnte die Proben krankheitsbedingt nicht mehr weiterführen. Für ihn sprang Amélie Niermeyer ein. Um es vorweg zu nehmen, die Rettung des Wibbel ist gelungen, begeistert wurde das Ensemble nach der Premiere gefeiert.
Aus dem Orchestergraben tönt die Marseillaise, an der ratternden Nähmaschine sitzt der verkaterte Schneider Wibbel und näht an einer übergroßen Tricolore. Aber ist es wirklich die französische Fahne, an der er sitzt, oder etwa doch die holländische? Es bleibt nicht das einzige Mal, dass der Schnaps den Schneider in die Bredouille geraten lässt.
97 Jahre nach seiner Uraufführung bringt das Schauspielhaus die Düsseldorfer Legende Wibbel und den damit verbundenen Mythos vom alten Düsseldorf wieder auf die Bühne. Der neue Wibbel ist behutsam renoviert und dennoch nah am Original von Autor Hans Müller-Schlösser angelegt. Statt in der Zeit der napoleonischen Besatzung spielt das Stück im Düsseldorf der 20er Jahre, als französische Truppen das Rheinland besetzt hielten. Da führte am hiesigen Dialekt natürlich kein Weg vorbei. So „platt“ geplaudert wurde auf Düsseldorfs Bühnen schon lange nicht mehr. Für die Schauspieler eine Fremdsprache, die es zu erlernen galt. Positiver Nebeneffekt: „Op Platt“ lässt es sich besonders gut poltern und räsonieren, und das tun der Schneidermeister Wibbel und seine Frau Fin eigentlich ständig. Der Funke sprang direkt auf das Publikum über, in der Pause stimmten viele Premierengäste in die aus dem Alltag weitgehend verdrängte Mundart ein.
Meister Wibbel ist ein angesehener Mann, der leider in der Kneipe seinen Mund nicht halten kann. Wegen Beleidigung der Besatzungsmacht muss er vier Wochen im „Kaschott brummen“, kann aber seinen Gesellen Zimpel dazu überreden, die Haftstrafe für ihn anzutreten. Als der im Gefängnis stirbt, geht für Wibbel der Ärger erst richtig los. Als er dann den Haufen schräger Galgenvögel bei seinem eigenen Trauermarsch durch die engen Altstadtgassen ziehen sieht, spricht er den Satz, den wohl jeder im Publikum mitsprechen kann: „Ne, wat bin ich ‘ne herrlich Leich’!“
Dass das Stück nicht in die Falle eines Mundart-Schwanks à la Millowitsch-Theater tappt, liegt auch am Bühnenbild von Jan Alexander Schroeder. Er überlässt die Szenerie den Schauspielern, anstatt sie für die optische Darstellung eines piefigen Kleinbürger-Milieus zu opfern. Und das Ensemble nutzt die ganze Spielbreite, tanzt Charleston auf den Bühnenversatzstücken, rutscht wie betrunken über die das Bühnenbild durchstoßenden Diagonalen. Es war ein Wagnis für das Schauspielhaus, den Schwank am Ort seiner Entstehung auf die Bühne zu bringen. Dass es gelungen ist, bewiesen stehenden Ovationen und langer Applaus nach der Premiere.