Düsseldorf Hohe Klangkultur eines Spitzenorchesters
Berliner Philharmoniker brillieren unter Yannick Nézet-Séguin mit Werken der tschechischen Romantik.
Düsseldorf. Bedrich Smetanas Orchesterstück „Die Moldau“ mit seiner herrlich geschwungenen Moll-Melodie kennt eigentlich jeder. Der aus dem liebevoll-patriotischen Werk-Zyklus „Mein Vaterland“ stammende Satz steht aber eher selten auf dem Programm von großen Symphoniekonzerten. Jetzt, beim Gastspiel der Berliner Philharmoniker unter Leitung des Frankokanadiers Yannick Nézet-Séguin war es zu hören — in beeindruckender Reinheit und Plastizität.
Der Dirigent wählte entspannt fließende Tempi, durch die jedes Rinnen und Plätschern des Moldau-Wassers geradezu bildhaft vor das geistige Auge geführt wurden. Selbst die Stelle, an denen der Fluss über raue Felsenvorsprünge schäumt, hatte hier noch etwas Elegisches. Besonders fein kam die Klang-Kultur dieses absoluten Spitzen-Orchesters an zarten Stellen zum Ausdruck wie der Nacht-Szene: Smetana schildert hier die Moldau sozusagen bei Mondenschein mit hellen Streicher-Reflexen. Bei den Berlinern klang das wie ein Hauch von Silbernebel, der sanft die Moldau streichelt — ein Moment von fast unwirklicher Schönheit.
Dies war der Auftakt eines Programms mit den tschechischen Romantikern Smetana und Antonin Dvorák. Nun ja: Mit den Berlinern hätte wohl Mancher gerne auch virtuosere Kost von Mahler, Bartók oder Schostakowitsch erleben mögen, wenn schon einmal eins der drei besten Orchester der Welt da ist. Da hat man sozusagen 500 PS unter der Haube und fährt nur über tschechische Landstraßen. Gleichwohl kommt die hohe Spielkultur auch beschaulichen Kompositionen wie Dvoráks Streicherserenade zugute: Die Streichergruppen der Berliner besitzen enorme Brillanz und sind so sauber miteinander koordiniert wie die Spieler eines Kammerensembles. Da wird jede Linie hörbar, selbst in komplexen Verästelungen, die bei einem solchen Streicherapparat natürlich besonderes Hörvergnügen bereiten.
Unterdessen erweisen sich die Berliner Philharmoniker nicht gerade als slawische Leidenschafts-Musikanten, sondern spielen emotional eher diskret. Das wirkt bei Dvorák stellenweise kühl und akademisch. Der Gänsehaut-Effekt hielt sich mithin in Grenzen.
Das größte und facettenreichste Opus des Abends war derweil Dvoráks Sechste Symphonie d-Moll op. 60. Sie genießt nicht ganz die Popularität der „Symphonie aus der Neuen Welt“, besitzt aber dennoch blühendes Melos und zackige Folklore-Rhythmen. Unverwechselbar tschechisch ist das Scherzo mit seinen frechen Akzenten auf Tönen, die so etwas sind wie die böhmische Vorhut der „Blue notes“ im amerikanischen Jazz. Mit Schwung und Schmackes gingen die Berliner zu Sache und betonten auch das Herbe und Burleske des rasanten Satzes.
In der Symphonie sind den Bläsern oft die gesanglichsten Melodien anvertraut, von denen Dvorák immer reichlich eingefallen sind. Diese Soli gehören nicht nur zum Schönsten der Symphonie, sondern auch zum Schwersten für die Musiker. Zweitklassigen Orchestern misslingt an solchen Stellen Manches. Nicht so den Berliner Philharmonikern: Beispielsweise Horn-Soli sind hier wie gemalt.
Zum Höhepunkt wurde der Finalsatz, auf den Nézet-Séguin wohl mit dem tschechischen Programm gewissermaßen dramaturgisch hingearbeitet hat. Anfangs dämpft er die Spieler lange, um ihnen allmählich mehr Forte zu entlocken. Das bewirkt mitnehmende Steigerungen. Dieser Schlusssatz ist ziemlich polyphon gebaut und angewiesen auf eine durchsichtige Wiedergabe. Bei diesem begabten jungen Dirigenten und dem erlesenen Traditionsorchester kam alles klar zum Vorschein. Für den großen Jubel gab es einen schmissigen Slawischen Tanz von Dvorák als Zugabe.