Düsseldorf Karl-Rauch-Verlag: Der kleine Prinz wohnt in Düsseldorf

Ein kleiner Verlag an der Grafenberger Allee gibt wahre Schätze auf Deutsch heraus. Sein aktueller Coup: Das Kultbuch von Boris Vian.

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Düsseldorf. Der Verleger Karl Rauch war ein umtriebiger Mann. Er unternahm viele Reisen, häufig nach Frankreich. Dort lernt er Monsieur Gaston Gallimard, den Gründer des gleichnamigen französischen Verlags, kennen. Gallimard hat schon damals die Größen der französischen Literatur unter Vertrag — André Gide, Jean-Paul Sartre, Albert Camus, Patrick Modiano und auch Antoine Saint-Exupéry, den Erfinder des „Kleinen Prinzen“. Mancher Buchfreund spricht in seinem Überschwang bis heute ehrfürchtig von Gallimard als dem „Louvre der Bücher“.

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Rauch und Gallimard werden Freunde. Sie pflegen vermutlich ab den 1940er Jahren einen regen Schriftverkehr, soweit Gaston Gallimard neben seinem Austausch mit Marcel Proust Zeit findet. In einem dieser Briefwechsel verabreden sie ein Geschäft. Gallimard überträgt dem Deutschen aus Markkleeberg bei Leipzig die Rechte an der deutschen Übersetzung des „Kleinen Prinzen“, einer der heute gefragtesten Geschichten der Welt. Quasi per Handschlag baldowern die Verlegerkollegen einen Deal aus, der heute nur mittels strengster Vertragsklauseln abgeschlossen würde.

Die französischen Schriftsteller Albert Camus („Der Fremde“) ...

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Dass eine solche Vereinbarung einst möglich war, darüber staunt auch Hans-Gerd Koch. Er leitet den Karl-Rauch-Verlag seit einem Jahr, zuvor war er dort als Lektor tätig. Koch will die Verlagstradition herausragender Literatur wieder stärken und hat deswegen jetzt die Erstübersetzung eines weiteren Spitzentitels neu publiziert. Es handelt sich um das Kultbuch von Boris Vian „Der Schaum der Tage“, die im besten Sinne sonderbare Liebesgeschichte von Colin und Chloé. „Wir wollten mit Vian ein Zeichen setzen“, sagt Koch. „Er passt gut zu uns und sein Schaffen fällt in dieselbe Zeit wie die Saint-Exupérys.“

... und Antoine Saint-Exupéry („Der kleine Prinz“) schufen Weltliteratur. In Düsseldorf sitzt der Verlag, der ihre Werke einst ins Deutsche übersetzte.

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Die Lizenzrechte an der deutschen Übersetzung von Vians „Schaum der Tage“ gehörten dem Karl-Rauch-Verlag schon einmal, wurden dann jedoch abgegeben. Jetzt kaufte Koch sie zurück. „Wir hatten früher auch Albert Camus im Programm“, sagt er etwas schwermütig. „Jetzt liegen die Rechte bei Rowohlt, und ich glaube nicht, dass der Verlag sie wieder hergibt.“

Das französische Original von „Der Schaum der Tage“ erschien 1946, der Düsseldorfer Karl-Rauch-Verlag brachte 18 Jahre später die erste deutsche Übersetzung heraus. Vor drei Jahren wurde der bizarre Roman verfilmt, mit Audrey Tautou („Die wunderbare Welt der Amélie“, „Da Vinci Code“). Koch hat sich den Streifen nicht angeschaut. „Literaturverfilmungen finde ich schwierig“, sagt er. „Gerade im Fall von ,Der Schaum der Tage’. Die Fantasie dieses Werkes zu übertreffen, ist unmöglich.“

Fantastisches gibt es bei Vian im Überfluss. In Chloés Lunge wächst eine Seerose, aus dem Wasserhahn schlängelt sich ein Aal, der im Kochtopf landet, Insekten dienen als Türklingel und feine Speisen tanzen. Zudem liebte Vian es, Berühmtheiten auf originelle Weise zu verunglimpfen und spickte sein Werk mit kryptisch-klugen Anspielungen auf Musik und Literatur.

Vian, Ingenieur, Jazztrompeter und Journalist, kauderwelschte, was das Zeug hielt. Leicht zu enträtseln war er nie. Klaus Völker, der Übersetzer der neuesten deutschen Ausgabe, deckte auch nach Jahrzehnten in der Vorlage noch Missverständnisse auf. Etwa jenes vom „fröhlichen Landmann“, der korrekterweise ein „froher Wandersmann“ sein muss, denn, so Völker, „Vian zitiert hier das von Schumann vertonte Eichendorff-Gedicht „Der frohe Wandersmann“.

Hans-Gerd Koch über die Sprachgewalt des französischen Schriftstellers

Der Spitzentitel des Karl-Rauch-Verlags ist jedoch „Der Kleine Prinz“. Im Büro von Koch an der Grafenberger Allee begegnet man ihm überall. Als Plakat, Bilderbuch, Hörspiel oder Pop-Art-Ausführung mit animierten Zeichnungen. Mehr als 70 000 Exemplare jedweden Formats verkaufen sich pro Jahr von Saint-Exupérys Erfolgsgeschichte, davon geht ein Großteil, etwa 50 000 Stück, als Taschenbuch weg.

Auch Vian läuft aus Sicht von Koch zufriedenstellend. Die erste Auflage (4000 Stück) ist fast verkauft, die zweite gerade im Druck. „Wenn man Literatur verkaufen will, muss man genau hinsehen, in welcher Form, das, was die Menschen bewegt, aus den Texten hervorsticht“, sagt Koch. Im Fall von Vian sei dies die „herrliche Respektlosigkeit gegenüber dem Zeitgeist“, die sich problemlos in die Gegenwart übertragen lasse. Aber auch die ausufernde Fantasie und Sprachgewalt. „Vian schreibt nicht, er jazzt.“