Kleine Sternstunde des Liedersingens
Bariton Christian Gerhaher und Pianist James Cheung gestalteten Gesicht-Vertonungenvon Schubert, Brahms, Britten und Debussy.
Lieder haben es schwer. Weder gibt es ein wirklich großes Publikum für sie, noch eine Vielzahl an Interpreten, die dem hohen Anspruch des Liedersingens gewachsen sind. Fast scheint die Zeit vorbei, da Sänger mit Schubert und Brahms große Säle füllen wie einst Dietrich Fischer-Dieskau oder Elisabeth Schwarzkopf im 20. Jahrhundert. Doch ein paar Lichtgestalten der feinsten Vokalkunst gibt es auch heute noch. Zu ihnen gehört der Bariton Christian Gerhaher.
Mit Hilfe des Tonhallen-Freundeskreises ist es gelungen, Gerhaher im Rahmen der schönen Reihe „Sternstunden“ für einen Liederabend in Düsseldorf zu gewinnen. Der weltbekannte Sänger zog nun recht viele Besucher in den Mendelssohn-Saal. Dass sogar der Rang geöffnet werden muss, ist für Liederabend-Verhältnisse bereits ein großer Achtungserfolg. Zu Gehör kam deutschsprachige Romantik, aber auch Randrepertoire von Claude Debussy und Benjamin Britten.
Der Abend begann mit der Avantgarde des Frühbarock: Der italienische Fürst und Komponist Carlo Gesualdo di Venosa (1566-1613) war seiner Zeit voraus. Bereits instrumental begleiteter Sologesang war in der Zeit um 1600 etwas Neues, geschweige die chromatische Harmonik, der sich Gesualdo bediente. „Moro, lasso, al mio duolo“ — „Weh mir Armem! Ich sterbe!, heißt es in diesem kühnen Lamento. Gerhaher sang es nicht unbedingt opernhaft, sondern dezent und nuanciert.
Der Sänger, der auch auf der Opernbühne ein Star ist, gestattete sich nur selten ein volles Forte. Zu Gerhahers Qualitäten gehören eine klare Stimme, makellose Technik und gute Textverständlichkeit. Andererseits ist er wiederum kein Typ, der so ganz aus sich heraus geht. Selbst Lieder rund um Liebeskummer wirken bei Gerhaher mehr kundig referiert als aus persönlicher Erfahrung geschöpft.
Gerhahers kühle Reflexion sorgt für Genauigkeit. Das zeichnet ihn aus, reist aber auch nicht unbedingt vom Stuhl und rührt auch nicht zu Tränen — wobei das zu den sehr subjektiven Empfindungen gehört, die bei jedem etwas anders ausfallen können. In den Heine-Vertonungen aus Schuberts „Schwanengesang“ demonstriert er, dass er nicht nur fein abtönen, sondern auch ein mächtiges Forte erzeugen kann.
Vor allem in dem Lied „Der Doppelgänger“ beeindruckt die Gestaltung. Gerhaher steigert sich vom mysteriösen Pianissimo bis zum Entsetzensschrei beim Gewahrwerden der eigenen Gestalt als Schatten im Mondlicht. Für den begeisterten Beifall gab es eine anmoderierte Zugabe: Schuberts letztes Lied „Die Taubenpost“, ein heiterer Schluss in Schuberts oft melancholischem Musikschaffen.
Der Abend wurde zusätzlich geadelt durch die feinsinnige und technisch souveräne Klavierbegleitung. Dem Pianisten James Cheung gelang das Kunststück Profil zu zeigen, ohne sich akustisch in den Vordergrund zu drängen. Besonders edel klang sein Anschlag bei Schubert und Debussy.