„Lesen – die Reise beginnt im Kopf“

Am liebsten sitzt Maren Jungclaus mit einem guten Buch am Strand hinter dem Hafen und genießt dort die Ruhe.

Frau Jungclaus, für viele sind Bücher nur etwas für verregnete November-Abende. Wird im Sommer überhaupt gelesen?

Jungclaus: Im Sommer wird vielleicht sogar mehr gelesen als im Winter. Die Regale der Büchereien sind dann zum Teil leergefegt. Die Leute haben einfach viel mehr Zeit, da die Abende länger werden und viele tatsächlich frei haben. Im Winter gibt es viel mehr Ablenkung wie Kino oder Theater. Es ist im Sommer einfach etwas Wunderbares, mit einem Buch draußen zu sitzen. Wir veranstalten jedes Jahr in den Ferien das grenzüberschreitende Festival "Literarischer Sommer". Der Andrang war im vergangenen Jahr so groß, dass wir bei einigen Veranstaltungen Besucher abweisen mussten, weil es keine freien Plätze mehr gab.

Wo sollte man sich in Düsseldorf am besten mit seinem Buch hinsetzen?

Jungclaus: Hier gibt es viele schöne und grüne Orte, an denen man in Ruhe lesen kann. Mein Favorit ist der kleine Strand hinter dem Hafen. Das ist dann ein Gefühl wie im Urlaub. Keinerlei Störung durch Telefon und Laptop. Dort habe ich dann mal Zeit, ein Buch mit viel Muße zu lesen. Im Büro kann ich aus Zeitgründen vieles nur überfliegen.

Die Literatur ist im Sommer aber doch sicherlich eine andere als im Winter. An den Strand nimmt man eher seichtere Lektüre mit als schwere Kost.

Jungclaus: Das ist richtig. Viele Verlage veröffentlichen im Sommer so genannte Sommeranthologien mit heiteren Geschichten. Oder Liebesgeschichten mit Happy End, bei denen man sich so schön wegträumen kann. Leute die verreisen, lesen natürlich viel Reiseliteratur - das ist die schönste Art der Reisevorbereitung.

Was ist denn Ihr Sommer-Lese-Tipp?

Jungclaus: Neu entdeckt habe ich für mich "Vuchelbeer Baamland" der Düsseldorfer Autorin Reglindis Rauca. Es ist die Geschichte eines Mädchens in der DDR - ein wunderbares Buch. Rauca bekommt in diesem Jahr den Förderpreis der Stadt für Literatur. Begeistert hat mich auch Anna Enquists "Kontrapunkt", das gerade frisch auf dem Markt ist. Da geht es um eine Mutter-Tochter Beziehung aus der Sicht der Mutter. Passend zur Reisezeit ist "Die Fahrt" von Sybille Berg. Der Roman erzählt von Leuten, die verreisen, obwohl sie es eigentlich gar nicht so toll finden. Dadurch wird das Zuhausebleiben irgendwie verteidigt, was ich eigentlich nie tun würde. Vor allem aber bricht sie Reiseklischees so schön auf.

Kann nicht die Literatur auch zu einer Art Reise werden?

Jungclaus: Sicherlich, beim Lesen beginnt eine Reise im Kopf. Wenn man sich mit Interesse einem Buch widmet, ist das wie Kino oder gutes Theater. Ich bin auch immer wieder erstaunt, wie viele Leute in Düsseldorf Lesungen besuchen. Die sind mit ihren Büchern einfach nicht gerne alleine. Lesungen sollten immer auch etwas Inszeniertes sein, sei es durch die Wahl des Ortes, eine gute Diskussion oder durch die besondere Vortragsweise. Ein Autor, der einsam unter einer Lampe sitzt und liest, lockt heute keinen mehr hinter dem Ofen hervor. Vorlesen ist eine Kunst, das kann einfach nicht jeder.

Also Krimis an möglichst unheimlichen Orten oder literarische Spaziergänge durch die Stadt zu einem bestimmten Thema?

Jungclaus: Ich finde es gut, dass dadurch das Prinzip der klassischen Lesung stark aufgebrochen wird. Die Autorin Veronika Peters hat mit ihrem Buch über zehn Jahre Klosterleben im letzten Jahr eine ganze gotische Kirche gefüllt. Wenn die Örtlichkeit den Inhalt des Buches unterstreicht, kann das ein ganz besonderes Erlebnis werden. Es wäre auch schön, wenn nicht so sehr zwischen "ernster" Literatur und "unterhaltender" Literatur getrennt würde.

Wir vom Literaturbüro NRW veranstalten seit zwei Jahren die "Lange Nacht der Düsseldorfer Literatur". In diesem Jahr findet sie am 23. August statt. Gelesen wird an verschiedenen Orten in der Bilker Straße wie der Galerie Tedden, dem Heinrich-Heine-Institut, dem Institut Français und der "Destille". Zu den Autoren gehören unter anderem Peter Philipp, Klaus Stickelbroeck, Josef A. Kruse und Reglindis Rauca.

Wie können sich Touristen oder Neuzugezogene auf Düsseldorf einstimmen?

Jungclaus: Es gibt viele Bücher, die in Düsseldorf spielen. Beispielhaft sind hier nur genannt "Die Blechtrommel" von Günter Grass, "Möppi - Die Memoiren eines Hundes" oder die Romane von Dieter Forte. Aber Düsseldorf ist auch Schauplatz ganz aktueller Bücher, wie der Krimis von Horst Eckert, "Der Lebenslauf der Liebe" von Martin Walser oder "Melancholie" des Norwegers Jon Fosse. Es gibt also genug Möglichkeiten, Düsseldorf literarisch zu entdecken.