Lesung: Literarische Ost-West-Passagen

Bei der „Nacht der Poeten“ widmen sich vier Autoren dem Stand der literarischen Wiedervereinigung nach 20 Jahren Einheit.

Düsseldorf. Hier Günther Grass, dort Christa Wolf: Vierzig Jahre lang entwickelte sich die deutsche Literatur in zwei Staaten auseinander.

Der Mauerfall vor 20 Jahren gab der diesjährigen "Nacht der Poeten" den Anlass, nach dem Stand der literarischen Wiedervereinigung zu fragen. Michael Serrer vom Literaturbüro lud vier Autoren in die Kö-Galerie ein, deren Texte von den Unterschieden und Annäherungen zeugen.

Marcel Beyer zog 1996 aus dem Rheinland nach Dresden. Er fand eine fremde Lebensweise vor: Menschen, die sich viel Zeit für Gespräche nahmen. Aus dieser neu entdeckten Langsamkeit entwickelte sich sein Roman "Kaltenburg", in dem er die Zeit des Verhaltensforschers Konrad Lorenz in Dresden zur historischen Vorlage nahm.

Früher hatte sich der Autor nie mit Zoologie beschäftigt, aber in Dresden entdeckte er in dieser Wissenschaft, so erzählte er, die gleiche gemächliche und konzentrierte Art, wie die Menschen im Osten sich einer Tätigkeit zuwandten.

Katja Lange-Müller ging den umgekehrten Weg. 1984 reiste sie aus der DDR aus. Das Westberlin der 80er Jahre - aus dem Blick einer naiven jungen Frau aus dem Osten - findet sich in ihrem Roman "Böse Schafe" gespiegelt.

Katja Lange-Müller riss das Publikum zu wahren Lachsalven hin, denn mit ihrer Berliner Schnauze erzählte sie wunderbar komisch von ihrem bewegten Leben. Amüsant war auch der Ausschnitt, den sie aus ihrem Roman las, der aber im Ganzen tief traurig und sehr berührend ist und von der Liebe zu einem Drogensüchtigen handelt.

Am 9. November 1989 lieferte Thomas Brussig in einem Ostberliner Verlag sein erstes Romanmanuskript ab. Da ahnte er noch nicht, was am Abend geschehen würde. Aber in jenem Herbst wagten viele Autoren in der DDR, ihre Manuskripte aus der Schublade zu holen, die bis dahin nicht genehm waren, denn der Aufbruch lag in der Luft. Davon erzählt auch Brussigs Buch "Wie es leuchtet", das sich an einer Reihe von bekannten Bildern jener Zeit entlang schreibt und ihrer inneren Wahrheit auf die Spur kommen will.

Als erste Autorin holte Michael Serrer, der wie immer kundig moderierte, zunächst die junge Julia Schoch auf das Podium, die beim Fall der Mauer gerade einmal 15 Jahre alt war. Sie ist die Entdeckung des Abends. Aufgewachsen in Mecklenburg-Vorpommern, in einem von Militär dominierten Grenzort zu Polen, legt sie in ihrem Roman "Mit der Geschwindigkeit des Sommers" eine fein beobachtete Studie jener Welt vor.

Liebschaften mit Soldaten bestimmten die Jugend der meisten Mädchen. Sie endeten meist mit Abreise der Truppe und erwiesen sich als ein "verschenktes Stück Leben". In der Lesung bestätigte sich das Lob vieler Rezensenten für die junge Autorin: Julia Schoch hat eine eigene, lakonische und harte Sprache, die dennoch - oder gerade darum - emotionell aufwühlend wirkt.