Musik Nick Cave: „Diese Welt ist ein wunderschöner Ort“

Düsseldorf · Der australische Rockstar präsentierte sich beim Gesprächskonzert in der Tonhalle lebensbejahender als sonst.

Gab sich in der Tonhalle nicht düster, traurig und menschenfeindlich, sondern sprach von der Welt als wunderschönem Ort: Nick Cave.

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Etwas ist anders als sonst. Und man muss erstmal grübeln, ehe man darauf kommt. Natürlich: Da sind die offensichtlichen Dinge: Nick Cave steht diesmal nicht auf der Bühne einer Arena. Und er steht nicht auf der Bühne, um zu singen. Nein. Er befindet sich in der eher schnuckelig-intimen Tonhalle und redet und erzählt und stimmt nur zwischendurch mal ein paar seiner Songs am  Flügel an. Aber der Abend wurde ja auch angekündigt als „Conversations with Nick Cave“. Gespräche mit Nick Cave. Die Leute sind hergekommen, um sich mit ihrem Idol zu unterhalten. Einem Idol, das von vielen ob seiner gnadenlos melancholischen, abgrundtief traurigen und herzzerreißend dramatischen Texte gerne mal als „Fürst der Finsternis“ bezeichnet oder mit vergleichbar bescheuerten Titeln bedacht wird. Aber genau das ist es: An diesem Abend ist da kein Fürst der Finsternis. Nichtmal ein Anflug davon. Nick Cave hat sogar einen für seine Verhältnisse geradezu strahlend hellen – sprich: grau-beigen – Anzug an. Das Schwarz, das er normalerweise trägt, wenn er mit seinen Bad Seeds auftritt, ist im Kleiderschrank geblieben. Der Typ ist nahbar und gut gelaunt. Keine dunklen Wolken. Kein Sturm. Die Sonne scheint.

Und gleich zu Beginn stellt er das auch klar – als er von einer Zuschauerin gefragt wird, ob ein Künstler denn zwingend leiden müsse, um große Kunst zu schaffen. Diese Frage spielt natürlich auf den Tod seines Sohnes vor vier Jahren an, dem Nick Cave mit „Skeleton Tree“ das vielleicht beste und gleichzeitig düsterste Album seiner Diskografie folgen ließ. Ein wundertraurigschönes Stück Musik, für gut gelaunte Menschen geradezu unhörbar. Jetzt steht der damals so brutal  Trauernde da und sagt: „Wenn jemand einen Beruf hat, für den er leiden muss, um ihn gut zu machen, dann sollte er sich einen anderen Beruf suchen.“ Nein: Leid sei nichts anderes als eine weitere Quelle, aus der ein Künstler Inspiration ziehen könne. Nicht weniger. Aber vor allem nicht mehr.

Und damit ist Nick Cave bei der Erklärung angekommen, warum er Abende wie diese – changierend zwischen Gespräch und Konzert – überhaupt ins Leben rief: Der Künstler, der jetzt hier stehe, habe absolut nichts mehr mit jenem Künstler zu tun, der er vor dem tragischen Unfalltod des Sohnes gewesen sei. Der Künstler, der jetzt hier stehe, sei kein Misanthrop mehr. Er habe durch den Zuspruch unzähliger Fans und Leidensgenossen, Fremde wie Bekannte, erfahren, wie unfassbar wichtig der Kontakt zu Menschen sei. „Daraus ziehe ich meine Energie.“ Darum suche er bei Konzerten den Kontakt zum Publikum, berühre die Leute in der ersten Reihe, lasse sich in ihre Arme sinken, hole sie auf die Bühne. Das sei: Leben. Und dadurch, dass er nicht wisse, was an Fragen auf ihn zukäme, kehre ein ordentliches Maß Chaos und Terror zurück in seine Auftritte – was auch Leben sei. Und als eine dezent entrüstete Dame wissen möchte, ob es ihm denn nicht nachgerade langweile, wenn Menschen ganz blöde nach der Müsli-Marke fragten, die er am Morgen am allerliebsten esse, antwortet Nick Cave: „Jeder kann hier fragen, was er will. Auch wenn es um Müsli geht. Das esse ich zwar – ganz nebenbei bemerkt – nicht. Aber: Nur los!“ Und sie lassen sich nicht lange bitten, die Leute, die mit von Ordnern geschwenkten Blinkestäben auf sich aufmerksam machen können.  

Die eine möchte ein Autogramm auf ihr selbstgemaltes Cave-Porträt, ein anderer reicht ihm ein selbstverfasstes Buch. Die Zuschauer wollen wissen, wie Nick Cave seine Songs schreibt und ob er nicht diesen oder jenen spielen könne. Und was er von Künstlern wie Leonard Cohen oder Nina Simone halte. Welche Rolle Frauen in seinem Leben spielten, immerhin kollaboriere er ja regelmäßig mit ihnen – siehe Kylie Minogue oder PJ Harvey. Und natürlich steckt ihm irgendwann auch jemand, dass vor ihm in Reihe eins ja die versammelten Toten Hosen sitzen und ob er die denn kenne. „Oh! Hi!“ sagt Nick Cave und winkt Campino zu und sagt lachend: „Ja, ich kenne sie. Ich habe sie mal in Berlin gesehen. Es war ein Auftritt, der völlig in die Hose ging. Der Sänger hat seinerzeit Chaos auf eine vollkommen neue Stufe gehoben. Aber sie sind natürlich die beste Band der Welt.“

Und dann setzt er sich an die Tasten und spielt ein paar dieser traurigen, romantischen, melancholischen Songs. Den „Weeping Song“. „Into My Arms“. „Higgs Bosom Blues“. „Jubilee Street“. „Avanlanche“ von Leonard Cohen. „Cosmic dancer“ von T. Rex. Aber: Niemand muss heute das Taschentuch zücken und weinen. Alle hören zu und genießen und denken sich: Auch wenn das Düstere dazugehört, ist das Leben doch einfach nur toll! Das sagt Nick Cave ja selber. Frage: „Wie hälst du es in dieser vergifteten Welt nur ohne die Drogen aus, die du ja jahrelang angeblich genommen hast?“ Antwort: „Ich brauche keine Drogen mehr. Diese Welt ist nicht vergiftet. Diese Welt ist ein wunderschöner Ort.“