Ausstellung Ai Weiwei in Düsseldorf: Das gewollte Staunen
Düsseldorf · In der Kunstsammlung Düsseldorf erhält der chinesische Dissident seine größte Retrospektive weltweit.
„Weniger ist mehr“, sagt der berühmte Architekt Mies van der Rohe. Diese Lebensweisheit würde dem Chinesen Ai Weiwei, Jg. 1957, nicht schmecken. Er setzt auf Quantität. In der Klee-Halle in K20 überzieht er 650 Quadratmeter Bodenfläche mit 60 Millionen einzeln angefertigten, handbemalten Porzellanformen, die die Farbe und die Größe von Sonnenblumenkernen täuschend echt nachahmen. 1600 Kulis haben sie im Zeitraum von zweieinhalb Jahren in der chinesischen Porzellanmetropole hergestellt. Mit deutschen Handarbeitern wäre diese Produktion mit einem Gewicht von hundert Tonnen Porzellan nicht zu leisten gewesen. Ein typisch chinesisches Werk ist dies, aus einem Niedriglohn-Land, das für seine Massenproduktion bekannt ist. Ai interpretiert seine weißlich-graue Saat damit, dass Sonnenblumenkerne in ihm Kindheitserinnerungen an die Kulturrevolution auslösen, als man im Vorsitzenden Mao Zedong die Sonne sah. Vor allem: „Wir alle waren die auf die Sonne ausgerichteten Sonnenblumen.“
Die Vielfalt der Kunstobjekte lässt die Besucher staunen
Das Staunen ist gewollt in dieser Schau, die in beiden Häusern der Kunstsammlung stattfindet. In K21 wurde die Eingangstür in den großen Ausstellungsraum im Souterrain eigens verkleinert, so dass die Besucher durchs Nadelöhr in den weiten Schauraum treten, der zunächst an einen viel zu großen, aber x-beliebigen Second Hand-Laden erinnert. An 40 Kleiderstangen hängen über 2000 Kleidungsstücke, vom Strampelanzug über Anoraks und Pullover bis zu Hemden und Hosen.
Von einer „sehr berührenden Arbeit“ spricht Kunstsammlungs-Direktorin Susanne Gaensheimer. Wer das Begleitheft zu Hilfe nimmt, ist geschockt. Da hat doch Ai Weiwei aus dem wegen Überfüllung geräumten Flüchtlingslager Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze die zurückgelassenen Habseligkeiten eingesammelt, waschen, reparieren und dokumentieren lassen, um sie nun wie in einem Kaufhaus aufzuhängen und dem Ensemble auch noch den Titel „Laundromat“ (Waschsalon) zu geben.
Man muss Ai Weiwei mögen, und Susanne Gaensheimer gehört zu seinen Fans. Sie hatte ihm schon 2013 den Hauptraum im deutschen Pavillon gegeben. Und sie schwärmte gestern von der Einheit des Ästhetischen mit dem Politischen. Seine Kunst stehe im Spannungsfeld von Staat und Individuum. Er stelle die Grundfrage nach der Humanität und sei unermüdlich im Einsatz für die freie Meinungsäußerung. In der Tat hat sie ihm jeden Wunsch erfüllt, damit er seinen Mythos vom politisch verfolgten Künstler ausspielen kann.
Die historische Bedeutung bleibt unsichtbar
So verzichtete er diesmal darauf, die 164 Tonnen Armierungsstrahl aufzubauen, die er aus dem Schutt eingestürzter Schulgebäude anlässlich der Erdbebenkatastrophe von 2008 ausgraben und nach Peking bringen ließ. „Straight“ heißt die Arbeit, was in diesem Fall so viel bedeutet wie „gerade biegen“. Der Betrachter muss ihm glauben, dass die Hilfskräfte jeweils 200 Mal mit dem Hammer auf die Stäbe geschlagen haben, um ihnen die ursprüngliche Form zurückzugeben. Er kann auch nicht nachprüfen, ob die Geschichte stimmt, dass 5000 Schulkinder unter den 70 000 Opfern waren, und dies nur deshalb, weil die Baubehörde bei den Schulbauten geschlampt hätten. Was wir sehen, ist nichts anderes als Armierungsstahl in 142 Kisten. Eine minimalistische Inszenierung. Dem Stahl wohnt jedoch keine Aura inne. Jannis Kounellis, dessen Ausstellung die Prada-Stiftung gerade in Venedig präsentiert, gibt seinen Materialien eine faszinierende Magie. Die fehlt hier gänzlich, zumal die historische Bedeutung unsichtbar bleibt.
Dennoch gibt es Dinge, in denen Ai Weiwei persönliche Erfahrungen in Bezug auf einen Staat einbringt, der seine Bürger ausspioniert, abhört und im Zweifelsfall ins Gefängnis sperrt. So gibt es einen „echt“ chinesischen Teller, der sich als Computertomografie von Ais Gehirns erweist und jene Blutung erkennen lässt, die durch eine Kopfverletzung bei seiner Verhaftung entstanden ist. Bei den Renovierungsarbeiten seines Ateliers in Peking wurden in den Steckdosen Abhörgeräte entdeckt, die auf unliebsame Begegnungen mit den Staatsdienern verweisen. In den Vitrinen stecken scheinbar schöne Dinge wie gläserne Fensterkurbeln aus einem Taxi. Im Beiheft erfährt der Besucher, dass der Staat damit verhindern wollte, dass Demonstranten ihre Flugblätter aus den fahrenden Taxis werfen konnten. Die Kurbeln sind heutzutage überflüssig, wo Botschaften auf den verschiedensten Kanälen gepostet werden können.
Einen großen Raum nehmen sechs Eisenboxen ein, die von seiner 81-tägigen Verhaftung handeln. Die Arbeit nennt sich „S.A.C.R.E.D“, frei nach der Vorstellung eines „Homo sacer“ im alten Rom, der als vogelfrei galt und noch heute ein Zeichen für Schutz- und Rechtslosigkeit in totalitären Systemen ist. Die zunächst fast abweisend wirkenden Kästen haben Luken, so dass man wie bei einer Peep-Show ins Innere blicken kann. Dort agiert Ai Weiwei als Mini aus farbigem Fiberglas. Er befindet sich in steter Begleitung von zwei grün uniformierten Wächtern, die ihn auf Schritt und Tritt bis unter die Dusche und auf die Toilette begleiten. Die Arbeit bietet einen Schaugenuss, obwohl sie gleichzeitig an eine raffiniert mit Deckenbeleuchtung ausgestattete Puppenstube erinnert.
Die perfekt am Computer ausgerechnete Ausstellung präsentiert immer auch den Medienkünstler, dessen Internet-Populismus nicht zu überbieten ist. 13 Jahre lang lebte er als junger Mann in Amerika, davon elf Jahre in New York. Dort scheint er sich die Methoden des Andy Warhol zu Herzen genommen zu haben. Die Selfies, die Fotos von sich in Kombination mit Freunden, die unzähligen Stinkefinger-Bilder rund um den Globus, die Fotos von Flüchtlingen sprechen Bände. Zuweilen reiht er sie zu Fototapeten, wobei die Motive über- und nebeneinander liegen.
Künstler und Provokateur in einer Person
Für Ai Weiwei war der Medienrummel zur Pressekonferenz natürlich ein gefundenes Fressen, selbst mit der Kamera zu hantieren. Schließlich ist nur derjenige ein Held, der sich selbst bespiegeln kann und andere dabei mit aufs Bild bringt.
Ob Spiegelung oder Fake, Ai Weiwei ist ein Könner in beidem. Und da bei ihm zur Rolle des Künstlers auch die des Provokateurs hinzukommt, ist er auf dem besten Weg, der weltweit populärste Künstler zu werden. Die Düsseldorfer Ausstellung wird ihn auf dem Weg zum Erfolg ein großes Stück weiter bringen.