Ohne Schaudern am Abgrund

Symphoniker unter Boreyko mit Spätwerken von Mahler und Schostakowitsch.

Düsseldorf. Mahlers Zehnte und Schostakowitschs 15. Symphonie bilden beim 3. Städtischen Konzert unter der Leitung von Andrey Boreyko in der Tonhalle eine Allianz letzter musikalischer Worte. Dadurch ergibt sich eine Konstellation von starker Spannung, die einmal durch die Kontraste der Personalstile entsteht, aber auch durch die Gemeinsamkeit des symphonischen Abschiednehmens. Mit den beiden Spätwerken geht jetzt auch der Düsseldorfer Mahler-Zyklus zu Ende.

Die Symphoniker besitzen genügend Spielkultur für Mahler. Das Adagio der Zehnten können sie technisch sauber und musikalisch nuancenreich gestalten. Doch leider zündete es am Freitag nicht so richtig. Boreyko fiel zwar mal wieder durch eine ausgetüftelte Zeichengebung auf, bei der man auch ahnt, wohin er will, ein entsprechendes Ergebnis dann aber nicht so richtig hört. Es sieht manchmal aus, als sei der Dirigent durchströmt von rhythmischen Feinheiten und einer spezifischen Klangvorstellung.

Aber die akustische Verwirklichung will nicht hundertprozentig gelingen. Heraus kam nun ein Mahler ohne grobe Schwächen, aber auch bar einer besonderen Magie. Das symphonische Formgebilde entfaltete nicht die rechte Spannkraft, thematischen Entwicklungen fehlte das Zwingende. Vor allem dem dynamischen Höhepunkt mit seinem dröhnenden Moll-Akkord, der so packend schauerlich die Tonarten durchwandert und sich mit Dissonanzen anreichert, fehlte es an Wucht. Das ist eine Stelle, die kann so erschreckend wirken, als blicke man in einen Krater mit dunkel glühender und wabernder Lava. Doch vor dieser Passage, wie sie jetzt erklang, gruselte man sich nicht mehr als vor einem Maar in der Eifel.

Einfallsreicher und mitreißender musiziert man in der Schostakowitsch-Symphonie, der letzten des russischen Komponisten. Mit diesem Opus aus dem Jahr 1971 schließt sich das Kapitel der großen russischen Symphonien, das ein Jahrhundert zuvor bei Tschaikowsky seinen Anfang nahm. Es schien, als würde das Orchester dem Dirigat jetzt mehr Aufmerksamkeit schenken. Die heiteren Rossini-Zitate (der populäre Tell-Galopp) kamen mit Spielwitz daher und die von beklommener Endzeitstimmung kündenden langsamen Sätze brachte man bewegend zum Sprechen.