Düsseldorf Regisseur Michael Thalheimer: „Ich habe nur selten Angst vor Pathos“
Regisseur Michael Thalheimer inszeniert Verdis „Otello“ an der Oper. In Antwerpen hatte er damit großen Erfolg.
Düsseldorf. Als Theaterregisseur gilt er als einer der ersten seiner Zunft. Zahlreiche seiner Inszenierungen der letzten 16 Jahre — ob in Wien, Frankfurt, Berlin, Dresden oder Hamburg — wurden beim Berliner Theatertreffen ausgezeichnet. Doch Michael Thalheimer, Jahrgang 1965, setzt seit 2005 auch Opern in Szene. In knisternder Spannung und mit feinnerviger Personenregie, an der man den Theatermacher erkennt.
Der im März in der Flämischen Oper Antwerpen herausgekommene „Otello“ von Verdi, feiert am 8. Oktober Premiere auch in der Rheinoper. „Atemlos spannende vier Akte“ und eine „gelungene Inszenierung in minimalistischer Art“ erwarten die Zuschauer, zumindest, wenn man den Kritikern glauben darf. Sie rühmten Thalheimers Deutung des Stoffs, in dem es um Misstrauen, Neid und Mord aus Eifersucht geht. Nach den Haupt-Proben sprach unsere Zeitung mit Thalheimer über Otello, Oper, Schauspiel und über Theater-Intendanten.
Herr Thalheimer, wie kamen Sie auf Verdis Otello?
Michael Thalheimer: Als ich mit dem Dirigenten Alexander Joel Verdis „Macht des Schicksals“ in Antwerpen herausbrachte, kamen wir abends beim Weintrinken auf diese Oper.
Wären Sie als renommierter Theatermacher nicht eher für das Shakespeare-Drama prädestiniert?
Thalheimer: Im Gegenteil: Ich hätte keine Lust, das Drama zu inszenieren. Denn bei Shakespeare ist Desdemona eine reine Projektionsfläche der Männer.
Und bei Verdi?
Thalheimer: Da ist sie eine Figur, die mitleidet. Und das Credo Jagos, der einfach an nichts glaubt, finde ich schlagend. Außerdem treibt die Partitur die Figuren voran. Sie müssen handeln. Es bleibt ihnen keine Zeit zu reflektieren. Eifersucht, Misstrauen bei Otello — Neid bei Jago.
Sie sagten einmal „Otellos Feind ist Otello“. Wie meinen Sie das?
Thalheimer: Jago ist nicht der Feind, sondern Otello ist in seiner Gesellschaft zum Erfolg verdammt. In diese Zwangslage verbeißt er sich so sehr, dass Jago gar nichts tun muss. Otello führt sich selbst in die Katastrophe.
Welche Rolle spielt das berühmte Taschentuch in Ihrer Inszenierung?
Thalheimer: Es ist nicht mehr als ein Zeichen, ein profanes Requisit. Es ist bei uns — neben dem Brautkleid, das Desdemona vor ihrem Tod bei sich trägt — das einzige Requisit in Weiß. Ansonsten ist das Dekor düster, schwarz.
Warum?
Thalheimer: Otello ist eine extrem klaustrophobische Oper. Und wir müssen wissen, in welcher Zeit die Oper spielt. Es herrscht Krieg und Otello ist umgeben von einer missgünstigen Gesellschaft, die ihn in die Enge treibt.
Haben Sie keine Angst vor Pathos in der Verdi-Oper?
Thalheimer: Als Regisseur habe ich selten Angst vor Pathos, höchstens vor hohlem Pathos. Hier geht es darum, die extremen Gefühle des Protagonisten zu zeigen. Wichtig dabei ist, dass wir die Welt stets aus Otellos Perspektive sehen. Den Rest muss der Zuschauer in seinem Kopf erledigen.
Welche Otello-Aufführungen haben Sie gesehen?
Thalheimer: Keine. Ich habe nur die DVD einer Übertragung aus der New Yorker Met mit Placido Domingo angeschaut. Das war wichtig, hat aber mit meiner Deutung nichts zu tun. Im Theater habe ich Othello öfter gesehen. Aber nur eine in München, die mir gefiel, in der Regie von Luc Perceval. Aber da stand mitten auf der Bühne ein Flügel und die ganze Zeit wurden die Figuren von Musik begleitet.
Seit wann inszenieren Sie Opern? Wieviele pro Jahr?
Thalheimer: Seit 2005. Anfangs sollte es nur alle zwei Jahre eine Oper sein. Aber in letzter Zeit wurden es mehr. Aber nach dem Otello gönne ich mir eine Verschnaufpause von zwei Jahren. Interessieren würde mich irgendwann einmal Strauss’ „Elektra“.
Ab 2017 sind Sie Hausregisseur am Berliner Ensemble? Warum?
Thalheimer: Erstens bin ich Berliner. Zweitens ist es eine Entscheidung für das Team unter Oliver Reese, mit dem ich schon einmal zehn Jahre am Deutschen Theater Berlin (jetzt in Frankfurt) gearbeitet habe. Ich werde am BE zwei Stücke pro Saison inszenieren, bin aber auch Mitglied der Theater-Direktion.
Sie waren als neuer Chef der Wiener Burg im Gespräch. Hätte es Sie nicht gereizt, diesen Kulttempel zu leiten?
Thalheimer: Es war ehrenvoll für mich, dass der Gedanke aufkam, dass ich ein so großes Haus hätte leiten können. Im Moment bin ich aber glücklich, dass ich diese Aufgabe nicht bekommen habe und nur als Künstler, also als Regisseur, arbeiten kann.
Warum Sind Künstler als Intendanten heute weniger gefragt?
Thalheimer: Ich weiß nicht. Aber derzeit sind Dramaturgen, Herren aus der Wirtschaft oder Kuratoren im Rennen. Das Problem dabei ist: Politiker verwechseln Kultur-Institutionen mit Wirtschaftsunternehmen.
Heute hier, morgen Frankfurt. Wie halten Sie den Stress aus?
Thalheimer: Stress ist eine Sekundärtugend des Regisseur-Berufs. Man ist viel unterwegs, viel allein. Ansonsten gehe ich regelmäßig schwimmen, lege meist 1000 Meter zurück. Danach fühle ich mich einfach gut.
Wie entspannen Sie sich?
Thalheimer: Durch Sport und Billard. Ich spiele selbst zu Hause an meinem Billard-Tisch. Man kann nur gut spielen, wenn man die Welt um sich komplett vergisst.
Der Privatmensch Thalheimer - hat er Schwächen?
Thalheimer: Ja, aber die bleiben mein Geheimnis. Eine Schwäche ist mein starker Zweifel. Aber der kann auch ein Zeichen der Stärke sein, oder?