Roman: Die rauschenden Stimmen der Vergangenheit
In Norbert Scheuers neuem Buch „Überm Rauschen“ kehrt Leo Arimond in den Gasthof seiner Kindheit zurück.
Düsseldorf. Eigentlich ist es kein weiter Weg von Prüm nach Kall. Doch Norbert Scheuer, der vor 57 Jahren in Prüm in der Eifel geboren wurde und heute mit seiner Familie in Keldenich bei Kall wohnt, hat einen weiten Lebensweg zurückgelegt: vom Elektrikerlehrling über den Studenten der Physik und Philosophie (auch in Düsseldorf), bis hin zum Schriftsteller, der sein Geld als Systemprogrammierer verdient und zugleich eine wichtige Stimme der deutschen Gegenwartsliteratur geworden ist.
"Kall/Eifel" heißt Scheuers Erzählband aus dem Jahr 2005, für den er ein Jahr später mit dem Georg-K.-Glaser-Preis ausgezeichnet wurde. Es sind Geschichten aus einem eng umgrenzten Kosmos, die zugleich mit dem Anspruch auftreten, dass auch hier, in der Provinz, die großen Geschichten entdeckt werden können. Wenn man nur genau genug beobachtet.
Norbert Scheuer kommt von der Philosophie, aber irgendwann, so sagt er, habe er festgestellt, dass alle großen Ideen schon durchdacht worden seien. So habe er sich der Phänomenologie zugewandt, also der Beschreibung der Wirklichkeit.
In seinem aktuellen Roman "Überm Rauschen", aus dem er am Mittwoch in Düsseldorf liest, trifft man sie wieder, die Menschen und Schauplätze, die schon in "Flussabwärts" (2002) und in "Kall/Eifel" aufgetreten sind: Die Säufer im Gasthaus Arimond, die Fischer, die Arbeiter des Zementwerks. Und wieder erscheinen diese Menschen verloren. Sie brechen aus, wenn sie können, und kehren doch oft wieder zurück. Wenn sie mit dem Zug in die Eifel fahren, begeben sie sich auf eine Zeitreise.
Erinnerung ist der Motor in "Überm Rauschen". Leo Arimond kommt zurück in den Gasthof seiner Jugend und findet den Fluss wieder, in dessen Rauschen die Stimmen der Vergangenheit auftauchen. Das Rauschen des nahen Wehrs hatte Leo und seinen Bruder Hermann in der Nacht beruhigt, wenn die Geräusche im Gasthaus wieder einmal auf Zwist hindeuteten und Angst weckten.
Nun sind sie erwachsen, Hermann ist jahrelang zur See gefahren, und hat bei seiner Rückkehr das Gasthaus übernommen. Jetzt aber stimmt etwas nicht mehr mit ihm, seit er im Zementwerk ins Staubsilo gefallen war. Er bastelt nur noch Fischköder und zieht sich immer mehr zurück. Die Welt des Eifelstädtchens ist eng zwischen der Gastwirtschaft und dem Zementwerk. Aber im Fluss weitet sie sich ins Unendliche, und so zieht es auch Leo immer öfter zum Wasser hin.
“ Norbert Scheuer liest morgen um 19.30 Uhr im Heine-Haus, Bolkerstraße 53, und spricht mit dem Journalisten David Eisermann.