Kunst Es sind Maschinen, die keinen „Göttern“ mehr dienen

Düsseldorf · Ausgediente Projektoren, ausrangierte Spielkonsolen, demolierte Unfallautos – die international bekannte Fotografin Ricarda Roggan setzt unbrauchbar gewordene Dinge in ein neues Licht. Zu sehen ist das nun in der Sammlung Philara.

Ricarda Roggan inszeniert Unfall-Autos wie tote Menschenkörper in einer Leichenhalle.

Foto: Courtesy Galerie Eigen + Art Leipzig/Berlin; VG-Bildkunst, Bonn 2018

Bereits die Antike kennt tragische Konflikte, die nicht von Menschen gelöst werden können. Das griechische Theater erfand daher zahlreiche Geschichten, in der sich so manches verfahrene Dilemma nur durch das plötzliche Auftauchen einer Gottheit zerschlagen ließ. Mittels einer erfindungsreichen Bühnenmaschinerie konnten ein Gott oder eine Göttin zur richtigen Zeit am richtigen Ort erscheinen. Dieser clevere Trick avancierte zum geflügelten Wort: „Deus ex Machina.“

Mit der Zeit wurden die Götter allerdings ganz von den Maschinen ersetzt. „Ex Machina“ nennt die 1972 in Dresden geborene Ricarda Roggan ihre erste Einzelausstellung in Düsseldorf. Im Zentrum der vier Räume umfassenden Show steht eine neue Serie von fünfzehn großformatigen Fotografien, die alte Lichtprojektoren zeigt. Wie „Portraits“ wirken die detailreichen, präzisen Aufnahmen ehemaliger ausgedienter Apparate; die nur mehr als medienarchäologische Objekte von Fans und nostalgischen Technofreaks gesammelt werden.

Das Theater des 20. Jahrhunderts war das Lichtbildtheater; das Kino und die Leinwand die Orte magischer Projektion. In Roggans Bildern entsteht der Eindruck, als würden die Apparate – endlich befreit von ihrem menschlichen Gebrauch - nun selbst untereinander kommunizieren. Kein Projektor gleicht dem anderen. Es sind Automaten, die sich selbst beleuchten und keinen „Göttern“ mehr dienen müssen.

In zahlreichen Werkserien erzählt Ricarda Roggan die Geschichte der Dinge neu. Ihre Motive sind ausgedientes Mobiliar, entleerte Dachstühle, Kultobjekte von Berühmtheiten oder Dinge, die nur mehr ein Schattendasein führen. Sie selber sammelt nicht, sondern recherchiert nach geeigneten Objekten. Als Fotografin arbeitet sie ausschließlich analog. Auch Roggans nostalgische Bild- und Lichtmaschinerie ist teils auf im Labor gefertigten Handabzügen auf Papier gebannt.

Roggan verschafft den Maschinen eine ungewöhnliche Bühne

Ricarda Roggan lässt sich Zeit. Nichts ist in ihren Bildern dem Zufall überlassen. Ähnlich wie ein Bildhauer, der für seine Skulptur einen angemessenen Sockel oder eine angemessene Umgebung schafft, setzt sie ihre Motive in Szene, verschafft den Maschinen selbst eine ungewöhnliche Bühne, bevor sie sie fotografiert.

„Nur die Realität“ ist ihr zu wenig. In unserem Zeitalter höchster visueller Ungeduld erinnert sie mit ihrer Fotografie an eine der wichtigsten künstlerischen Fragen: Ab wann und wie ist ein Motiv oder ein Objekt bildwürdig?

Spielkonsolen in den Kabinen ehemals hipper Videospielautomaten erscheinen wie Dinosaurier einer längst vergangenen Unterhaltungsindustrie. „Reset“ heißt die Serie. Animieren lassen sie sich allerdings kaum mehr. 2008 fotografierte Roggan ausrangierte Unfallwagen in einer großen Halle in tiefem Halbschatten. Als Lichtquelle diente ein Loch im Dach. Mit dicker Staubschicht überzogen oder mit Plastikplanen überdeckt, sind die demolierten Autos wie die sterblichen Überreste von Körpern in einer Totenhalle aufgebahrt. Roggan kennt die Tricks inszenierter Industrie- und Objektfotografie. Doch was sie interessiert, ist etwas völlig anderes. Erst wenn sich ein Objekt vom Warencharakter lösen kann, erst wenn ein Ding seiner dem Menschen dienenden Funktion und seiner Zeit enthoben ist, entsteht auch in der Dingwelt so etwas wie Individualität. (Das Gegenbild dazu kann man aktuell mit der Sportwagenkollektion im Museum Kunstpalast sehen, wo der Warencharakter hochpreisiger Fetische inszeniert ist).

Manchmal können Dinge, die ganz klar vor Augen stehen, umso rätselhafter erscheinen. Die Ausstellung endet mit einem Landschaftsbild als Wandtapete. Es zeigt die schwarz-weißen Formationen einer archäologischen Höhle. Tief saugt sie den Blick in eine dunkle Schattenwelt hinein. Betreten möchte man sie nicht. Das Licht ist wieder aus.

Info: Ricarda Roggan: „Ex Machina“, bis 17. März in der Sammlung Philara. Adresse: Birkenstraße 47a. Mehr Informationen unter:

philara.de