Schauspieler Jonas Anders: „Christopher sieht mehr als andere“
Jonas Anders zeichnet Bilder, um einen Text zu lernen. Das gelingt ihm ebenso gut wie das Ergründen einer schwierigen Rolle.
Düsseldorf. Der entscheidende Hinweis kam während einer der ersten Besprechungen zum neuen Stück. Ein Mitglied des Teams hatte sich nach reiflicher Überlegung entschlossen, etwas sehr Persönliches preiszugeben. „Ich habe das Asperger-Syndrom.“
Eine mutige Offenbarung, die bei Jonas Anders in besonderer Weise nachwirkte. Für ihn war das Bekenntnis des Kollegen mit der lehrreichen Konkretisierung eines Phänomens verbunden, das er auf der Bühne darstellen sollte: Der 26-Jährige stellt in der Jugend-Inszenierung„Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone“ einen 15 Jahre alten Jungen dar, der an dem Asperger-Syndrom, einer Autismus-Variante, leidet. Jonas Anders spielt die Rolle so eindringlich, dass ihn Publikum und Kritik feiern.
Sehr dankbar, sagt Anders, sei er, dass er mit dem Kollegen habe sprechen dürfen: „Ich hatte viele Fragen.“ Auf welche er auch in Einrichtungen mit entwicklungsgestörten Kindern Antworten fand. „Das mag voyeuristisch erscheinen, aber ich hatte keine Alternative. Für diese besondere Figur konnte ich nicht in mir selbst suchen.“
Das liegt an der Wunderlichkeit von Christopher Boone. Wenn er etwas sagt, dann ist es zu hundert Prozent richtig. Er vermag nicht zu lügen, und es ist ihm fremd, sich wichtig zu machen. Auch Gefühle kennt er nicht. „Wenn der Vater wütend ist, merkt er das nicht, er kann nur in seinem Modus reagieren“, sagt Anders. „Für die Umwelt ist es nicht einfach, damit umzugehen. Aber ich finde Christopher bewundernswert, er sieht alles und mehr als andere.“
Seine Nahwelt spricht der unnachgiebig logisch argumentierende Junge in Grund und Boden und so war die Textladung, die Anders lernen musste, gewaltig. „Ich lerne nicht leicht Texte“, sagt der Schauspieler. „Meine Gedanken schweifen ab in den Inhalt.“ Deswegen baut er sich manchmal Brücken, indem er die Worte als Miniaturbilder aufmalt und zu Sinneinheiten zusammenfügt — ein Käuzchen für „kauzig“, zwei Strichmännchen für „Dialog“, Hände für „Handreichung“. Anders’ Zettel sieht aus wie moderne Höhlenmalerei, erfüllt jedoch seinen Zweck. „Wenn ich die Zeichen sehe, rufe ich den Text ab.“
Anders ist ein guter Zeichner, obendrein sehr musikalisch — er spielt Klavier und Schlagzeug — und ein Schauspieltalent, was anfangs nur der Mutter auffiel. „Sie hat mich zum Jugendclub des Deutschen Theaters geschickt und ermuntert, bei der Ernst-Busch-Schule vorzusprechen“, erzählt er. Dort wurde er nach der zweiten Runde aussortiert, gelangte jedoch über die Nachrückliste ans Ziel.
Das Düsseldorfer Schauspielhaus ist die erste Station nach Abschluss seines Studiums. Anders wohnt in Derendorf, von wo aus er es nicht weit hat bis zu den Rheinwiesen, auf denen er mit Marian Kindermann und anderen Mitarbeitern des Schauspielhauses Fußball spielt, sofern es seine Zeit erlaubt.
Er mag St. Pauli, schaut sich aber auch gerne Spiele der Fortuna an, der er wünscht, „dass sie sich wieder fängt“. Die Schauspielerei ist sein Ding, aber er ist auch offen für einen weiteren Theaterzweig. „Eines Tages möchte ich gerne auch Regie führen.“