Schauspielhaus „Wonkel Anja“: Wenn eine TV-Show auf Tschechow trifft

Düsseldorf · Die Uraufführung von Barbara Bürks und Clemens Sienknechts neuem Stück am Central karikierte mit entlarvender Geste.

Eine weitere Szene aus der Show unter der Regie von Barbara Bürk und Clemens Sienknecht.

Foto: Matthias Horn

Die lethargisch-komödiantische, von einer sonderbaren Melancholie durchsetzte, Tragikomödie „Onkel Wanja“ von Tschechow mit einer, von Musik aufgeladenen, Karikatur einer Show aus der Glanz-Ära der großen Fernsehunterhaltung zu verschneiden – kann das funktionieren? Barbara Bürk und Clemens Sienknecht haben schon öfter bewiesen, dass es ihnen gelingt, Klassiker in Meta-Szenerien, wie etwa Hörspielaufnahmen in einem Radiostudio einzupflanzen. Wenn man der Erheiterung des Publikums und dem durchaus bewegten Applaus bei der Uraufführung im Central des Düsseldorfer Schauspielhauses folgt, ist dem Regie-Duo auch diesmal mit „Wonkel Anja – die Show!“ ein beachtlicher Wurf gelungen. Wenngleich von Tchechowscher Stimmung nur wenig übrigbleibt.

Ertönt die Eurovisions-Hymne, steigt bei vielen Generationen von Fernsehzuschauern ein wohliges Gefühl von Nostalgie auf. Die großen Fernsehshows entführten in eine so heil scheinende Parallelwelt. Kulenkampff, Rosenthal, Carell oder auch Peter Alexander – die Reihe ließe sich fortsetzen – waren mit viel Sympathie und Charme parfümierte Dompteure in den Fernsehmanegen der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Doch wurde dieser sorgsam konstruierten Unterhaltung für die ganze Familie auch immer wieder mit Spott, ja Argwohn, begegnet. Es gibt zahlreiche gute Beispiele für eine kritische oder auch ironische Auseinandersetzung. Man denke an den Fernsehfilm „Das Millionenspiel“ aus 1970 von Tom Toelle, der zwar eher in eine andere Richtung zielte oder beispielhaft für viele andere ähnliche Satiren Hape Kerkelings „Kein Pardon“. Eine wichtige Rolle spielte hier auch immer wieder das ironische Spiel mit Werbung.

Running Gag mit dem
Fertiggericht „Nudeln Strogranoff“

In gewisser Weise reiht sich „Wonkel Anja“ in diese Tradition. Die Fernsehshows der 60er, 70er bis hin zu den 80ern sind eine sehr dankbare Vorlage für einen ironischen Blick. Und natürlich gibt es auch hier ein Running-Gag mit – in diesem Fall – einer Werbung für das Fertiggericht „Nudeln Stroganoff“. So herrlich stereotyp die Bühne und Kostüme von Anke Grot die Ästhetik einer Spielshow aus den späten 70ern aufleben lassen, so emblematisch wirken die Figuren, die diese Bühne bevölkern. Fünf verschrobene „Kandidaten“ auf jeweils sehr überzeugende Weise gespielt von Thiemo Schwarz, Claudia Hübbecker, Thomas Wittmann, Torben Kessler und Hanna Werth, sind Teil einer sich mehr und mehr ad absurdum führenden Grundkonstellation. Sienknecht selbst, er ist zudem für die Musik des Abends verantwortlich, fungiert als Showmaster „Schietmar Dönherr“ – Wortwitz wie auch „Wonkel Anja“ wird zu einem Leitmotiv. Ein Charakter, der alle denkbaren Schwächen eines vor Oberflächlichkeit triefenden Fernsehmoderators in sich vereint. Nostalgische Erinnerungen lässt seine Figur eher nicht zu. Da lässt seine wunderbar von Lieke Hoppe gespielte Assistentin „Bibi Vach“ noch eher mitfühlen. Sie zeitweise in ein unhandliches Teekannenkostüm zu stecken, unterstreicht die in ihrer Rolle steckende Tragik. Erinnerungen an den „Lustigen Glückshasen“ aus Kein Pardon drängen sich auf.

Ohnehin ist der Blick, den Bürk und Sienknecht auf die Fernsehshows aufzeigen, ein unter der Oberfläche des Humors vergifteter. Mit entlarvender Geste mischen sie immer wieder eine schier unendlich wirkende Auswahl an Liedern, Songs und Pop-Hits in den um sich selbst kreisenden Verlauf ihrer Show. Hierbei spielt Friedrich Paravicini an der Heimorgel sitzend und diese meisterhaft für alle möglichen musikalischen Albernheiten nutzend eine herrliche Figur. Alle singen, tanzen und das teilweise mit reichlich Pfiff. Das alles ist sehr unterhaltsam, hat aber auch an einigen Stellen Längen.

Doch wie kommt Tschechow in die Show-Suppe. Zunächst lange gar nicht und dann als ein Spielelement der fiktiven Show. Den einzelnen „Kandidaten“ werden per Glücksrad Figuren aus „Onkel Wanja“ zugeordnet, die sie auf verschiedene Weise im Laufe des Abends verkörpern werden. Mal hinter Pappfiguren statisch, mal in klassische Kostüme gekleidet auf einer erhöht liegenden in die Fernsehkulisse eingebetteten Kastenbühne. Die Figuren wirken da wie Marionetten einer Theater-Karikatur, karikiert von der Karikatur einer Spielshow. Beide Welten laufen bis auf wenige Ausnahmen parallel. Sie reiben aneinander. Organisch ineinanderfügen können sie sich nicht, sollen es wohl auch nicht. Fast bis zum Schluss. Tschechows Komödie findet den nötigen Platz um kenntlich zu werden, doch der Konnex zur Spielshow bleibt brüchig.

Und trotzdem hat der zweistündige Abend ohne Pause eine Sogwirkung, sorgt für Heiterkeit und bietet hin und wieder Momente von gewisser lyrischer Tiefe.