Tanzende Tentakel
Formation Chunky Move fasziniert mit Emotion und Technik.
Düsseldorf. Selbstbezogen tanzt eine junge Frau am Boden vor sich hin, während eine gleißend helle, atmende Lichtaura sich um sie herum bewegt. Das Glück währt nicht lange, da wälzt sich ein schattenhaftes Menschenknäuel heran und saugt sie auf, bis die derart Verschluckte sich wieder befreit.
"Mortal Engine" heißt das neue Stück der australische Tanzformation Chunky Move, das in seiner Eingangsszene mit der Spannung zwischen Individualität und Masse spielt. Doch dies ist nur ein Seitenweg dieses so faszinierenden Tanzabends, der auf höchst kluge wie kritische Weise die soziale, biologische, geschlechtliche und technische Interaktionsformen des menschlichen Körpers untersucht.
Choreograph Gideon Obarzanek hat sich dafür mit dem Softwarespezialisten Frieder Weiss, dem Lasertechniker Robin Fox und dem Lightdesigner Damien Cooper zusammengetan und eine Schnittstelle entworfen, die den Tänzern erlaubt, durch Bewegung sowohl Musik als auch Licht zu beeinflussen.
Da tanzt ein Paar zu harten Sounds (Komposition: Ben Frost) in einem Raster aus Lichtbalken, die sich bei jeder Hebung des Armes, bei jeder Drehung verformen und dann wieder ausrichten. Eine Tänzerin schiebt sich in fötaler Haltung über den Boden der schrägt gestellten Bühne, während dunkle Schattenflocken zu ihr hin und wieder wegstreben. Ob man es nun Energie, Aura, Viren oder Strahlen nennen, Obarzanek zeigt die Grenzen des Körpers als fließend.
Zugleich lotet er damit die Übergänge zwischen Biologie und Technik aus, und erinnert an den australischen Künstler Stelarc, der mit einer dritten Hand oder einem in den Unterarm operierten Ohr experimentiert hat.
"Mortal Engine" handelt aber auch von der Anziehung und Abstoßung der Geschlechter. Wie eine Erinnerung an Platons berühmtes mannweibliches drittes Geschlecht bewegt sich ein aneinander geschweißtes Paar in synchronen Bewegungen und dividiert sich dann allmählich auseinander; ein anderes Paar steht im strahlenden Licht vor einer hochgeklappten Bühnenwand und versucht mit knirschenden Geräuschen das eigene Auseinanderfallen zu verhindern.
Unverkennbar aber auch, wie die Technik die sechs Tänzer zunehmend dominiert, nicht nur weil sich Schatten wie im romantischen Märchen auf beängstigende Weise selbständig machen und die ganze Bühne "verschlingen" oder Lichtkreise einsam tanzen. Bei aller Interaktion scheint dabei gerade die Individualität und Emotionalität der Protagonisten zunehmend auf der Strecke zu bleiben.
Die Choreographie wendet dies am Ende selbst ins Kritische und lässt grüne Laserstrahlen wie wild gewordene Tentakel der Überwachung über liegende Körper hinweggleiten, gegen die ein Tänzer nur mit Mühe Platz für sich und seine Partnerin schaffen kann. Unbedingt ansehen!
Termine: 5. und 6. Juni, 20 Uhr; Tanzhaus, 55 Minuten, Info und Karten unter Telefon 0211/ 17 270-0