Premiere im Theater an der Kö Komik in der „Matterhorn“-Wohnung

Düsseldorf · Das neue und sehenswerte Boulevardstück im Theater an Kö heißt „Weisse Turnschuhe“ und ist geballte Komik. Dabei erfährt man nebenbei auch, was ein „auto-eruptiver Simulationseffekt“ ist.

Von links Simone Pfennig, Florian Odendahl (oben),Max Tuver (unten) und Claus Wilcke.

Foto: Theater an der Kö

. Der Titel dieses neuen Boulevardstücks im Theater an der Kö führt das Publikum in die Irre. „Weiße Turnschuhe“, das ist doch super trendy. Alle tragen das inzwischen zum Kult gewordene Schuhwerk, vom alerten Jungmanager bis hin zur stylischen Homeworkerin. Irgendwie erwartet man daher einen frechen Abend über deren Eskapaden oder Missgeschicke. Nur dass man die Dinger schon länger neudeutsch „Sneakers“ nennt. Und da gibt der Autor und Theaterleiter René Heinersdorff mit dem modisch veralteten Begriff einen Hinweis auf das, um was es wirklich geht: fit zu sein wie ein Turnschuh.

Genau das ist er, der 75 Jahre alte Günther, topfit und kerngesund. Seine Wohnung hat der Ausstatter Jan Hax Halama für ihn eingerichtet wie eine Mischung aus Health-Shop und Body-Building-Studio. Von der Decke hängt ein Boxsack, gleich neben einer Kraftmaschine. Auf der anderen Seite steht ein Kühlschrank mit großer Auswahl an Powerdrinks und Smoothies. Tee gibt es auch in allen Variationen, nebst Unmengen an frischen Zitronen. Und von einem Regal an der Seite leuchten tatsächlich drei Paar strahlend weiße Sneaker.

Sohn wirtschaftet das
Unternehmen in die Pleite

Den prominentesten Platz aber nimmt Günthers Fotogalerie ein: vier Frauen und eine Hündin. Letztere heißt Mandy, trägt Trauerflor und wird, obwohl vor Kurzem im Kofferraum von Günthers Auto eingeschläfert, noch eine ziemlich große Rolle spielen. Passend zur täglich geübten Fitness liegt die Wohnung im fünften Stock, natürlich ohne Aufzug. Von allen Bewohnern des Hauses wird sie nur „Matterhorn“ genannt, und selbst Günthers viel jüngereren Trainingspartner Max bringen die vielen Treppen ganz schön aus der Puste. Überhaupt keine Lust auf die Besteigung des Matterhorns hat Günthers Sohn Kai, der im Erdgeschoss die Geschäfte des Vaters führt. Als der sich eines Tages dennoch hochquält und bei Papa in der Tür steht, ahnt der fitte Senior nichts Gutes. Und tatsächlich: Kai hat das Familienunternehmen in die Pleite gewirtschaftet, bis auf den letzten Cent. Zu seinem Vater kommt er mit einem geradezu irrwitzigen Vorschlag. Der solle sich bei der Krankenversicherung als Pflegefall ausgeben, am besten gleich Stufe vier. Das monatliche Pflegegeld könne man sich dann teilen. Günther ist zunächst fassungslos angesichts dieser Unverfrorenheit, sieht aber dann selbst auch keine andere Lösung.

Bis dahin hat man unter der Regie von Urs Schleiff auf der Bühne des Theaters an der Kö also drei Darsteller kennengelernt und schon viel gelacht: Claus Wilcke, der mit bald 84 Jahren dem rüstigen Günther eine perfekte Bühnengestalt verleiht. Florian Odendahl, der seine nicht allzu groß geratene Rolle mit angenehmer Nonchalance ausfüllt. Vor allem aber Max Tuveri, der als Sohn Kai einen derart janusköpfigen Volldeppen auf die Rampe zaubert, dass man von seinen Auftritten nicht genug kriegen kann. Im Hintergrund singt dazu James Brown „It’s a man’s world“. Das Zusammenspiel der drei ist geballte Komik. Hin und wieder wirft Claus Wilcke, im realen Leben seit 2018 zum fünften Mal verheiratet, einen verstohlenen Blick auf die Porträts der vier verstorbenen Frauen seiner Bühnenfigur. Alle sind auf unterschiedliche Weise ums Leben gekommen. Länger allerdings bleibt Wilckes/Günthers Bühnenblick an der Hundedame Mandy hängen, denn sie ersetzt im ersten Akt die bislang fehlende weibliche Rolle. Doch dann kommt Simone Pfennig ins Spiel. Die zum Stammpersonal des Bonner Contra-Kreis-Theaters gehörende, an der Berliner Ernst-Busch-Schauspielschule ausgebildete Darstellerin übernimmt als Pflegestufen-Prüferin sofort die Handlungsführung und dominiert souverän das weitere Geschehen. Und das hat es in sich, bis zum Schluss.

René Heinersdorff weiß, wie man in einem Stück die Spannung hält. Immer wieder kommt es zu überraschenden Volten, teilweise zu grotesken Szenen, und es fallen jede Menge Sätze, die man sich gern für später merken würde. Den Höhepunkt der Wortkaskaden gibt es gegen Ende von der Pflegestufen-Prüferin Sylvie alias Simone Pfennig. Als die Männer über Hundewürstchen und andere Leckerlis schwadronieren, sorgt sie mit ihrer Diagnose eines „auto-eruptiven Simulationseffekts“ für verblüfftes Verstummen. Was genau das ist, erfährt man nur bei einem Abend im Theater an der Kö, den man sich nicht entgehen lassen sollte.