Bildung in der Pandemie Schulen fordern mehr Autonomie für ihre Unterrichtsgestaltung

Düsseldorf · Die Pandemie stellt die Schulen vor enorme Herausforderungen. Hart gerungen wird um das richtige Verhältnis von Präsenz- und Distanzunterricht. Auch die angekündigten neuen Quarantäneregeln und Schnelltests sorgen für Diskussionen.

Im Labor für Kunst und Robotik der Freien Christlichen Gesamtschule („smart school 2020“) werden digitale Kompetenzen trainiert.

Foto: Anne Orthen (orth)/Anne Orthen (ort)

Die Debatte um den richtigen Umgang mit der Pandemie bestimmt den Alltag an den Schulen. Wechselmodelle zwischen Präsenz- und Distanzunterricht, Schnelltests, neue Quarantäne-Vorgaben: Was ist richtig, wenn es darum geht, Bildung und Infektionsschutz in Einklang zu bringen? Die wichtigsten Fakten im Überblick.

Präsenz und Distanz

Das Land setzt klar auf den Vorrang des Präsenzunterrichts. Als die Stadt Solingen im November wegen sehr hoher Corona-Neuinfektionen die Klassen an allen weiterführenden Schulen halbieren wollte, um einen Teil der Schüler im Wechsel daheim und in den Klassenräumen zu unterrichten, gab es ein energisches Veto. Schulleiter und Rathaus-Chef hatten so für weniger Kontakte und mehr Abstand sorgen wollen. Doch das Land befürchtet Lern-Defizite und eine Benachteiligung von schwächeren Schülern mit wenig Unterstützung im Elternhaus. Hybrid-Modelle könne es immer nur im Einzelfall geben, so die Ansage.

Düsseldorfer Pädagogen und Schüler hat diese Vorgabe irritiert. „Ich wünsche mir mehr Vertrauen und mehr Autonomie für die Kommunen und für die einzelnen Schulen“, sagt Birgit Planken. Dabei räumt die Leiterin der Maria-Montessori-Gesamtschule in Flingern dem Präsenzunterricht Vorrang ein. Einfach so ein Wechselmodell einzuführen, bevor sich vor Ort überhaupt ein erhöhtes Infektionsgeschehen entwickelt habe, findet sie falsch. Zu wichtig seien die direkte Ansprache und die sozialen Kontakte für die Heranwachsenden – gerade in dieser Zeit. „Wenn dann aber die Pandemie in der Kommune oder an einzelnen Schulen mehr Distanzunterricht erfordert, sollten die Betroffenen weitgehend eigenständig entscheiden dürfen“, sagt sie.

Eingeengt fühlt sich auch Angelika Pick. In der Schublade der Leiterin des Lore-Lorentz-Berufskollegs liegen fertige Konzepte für gut durchdachte Wechselmodelle mit A- und B-Tagen und geteilten Klassen. Nur anwenden darf sie diese nicht. Dabei würde sie das nach mehreren Corona-Fällen und Quarantänen lieber heute als morgen tun, um durch mehr Abstand in den Klassen und weniger Gedränge vor der Schule den Infektionsschutz zu verbessern. „Verzweifelt“ sucht sie in jeder neuen Mail des Schulministeriums nach Spielräumen, die ihr den Start in einen neuen Schulalltag ermöglichen würden. „Aber dafür müssten wir mehr Corona-Fälle haben“, sagt sie.

Kleinere Lerngruppen fänden auch viele Schüler gut. „Mit genügend Abstand in den Klassen könnte man sogar Zeitfenster fürs Abnehmen der Maske zulassen. Und das wäre wichtig für die Konzentration“, sagt Lennart Dentzer, angehender Abiturient am Georg-Büchner-Gymnasium.

Keine Präsenz

Noch einen Schritt weiter will Andreas Klatt gehen. Er gehört zur Eltern-Initiative „#Sichere Bildung jetzt“, die am Samstag vor dem Landtag für einen vorübergehenden Komplett-Ausstieg aus dem Präsenzunterricht demonstriert hat. Klatt und seine Mitstreiter setzen auf einen konsequenteren Infektionsschutz. Und genau dafür müssten Kontakte, soweit es irgend geht, reduziert werden. „Wir sollten diese Chance nutzen und den digitalen Unterricht zur selbstverständlichen Alternative machen“, sagt er. Dass die Initiative eine Minderheiten-Meinung vertritt, weiß er, „aber wir haben gute Argumente“.

Die Praxis

Wie Lernen via Tablet und Laptop gelingen kann, hat gerade erst Michael Anger ganz praktisch erlebt. Wegen eines diffusen Infektionsgeschehens in seiner Schule stellte der Leiter des Albert-Einstein-Gymnasiums den Betrieb kurzerhand auf ein vorbereitetes Wechselmodell um. Allerdings ohne die Klassen zu teilen. Stattdessen waren jeweils ganze Klassen im Wechsel an einem Tag in der Schule und am nächsten Tag zu Hause. „Dadurch wurden Räume frei und ich konnte die Schüler aus den jeweils anwesenden Klassen in einigen Fällen auf zwei Räume verteilen“, sagt Anger. Auch Mensa und Schulgelände seien frei von Gedränge gewesen. Pädagogisch hält er das Modell für effektiver als die Zweiteilung der Einzel-Klassen.

Die neue Quarantäne

Ministerpräsidenten und Kanzlerin haben neue Regeln für die Quarantäne an Schulen auf den Weg gebracht. Künftig soll – nach Möglichkeit bundesweit – gelten: Die Quarantäne für infizierte Schüler wird verkürzt und kann sogar durch negative Tests auf nur noch fünf Tage reduziert werden. Dafür sollen bei einem konkreten Fall immer ganze Klassen in die Quarantäne geschickt werden. Damit würde die Düsseldorfer Praxis, nicht unmittelbar betroffene Schüler (keine Kontaktperson der Gruppe I) in der Regel weiterhin am Unterricht teilnehmen zu lassen, auf den Kopf gestellt. Birgit Planken bedauert das. „Ich hatte bislang bei 900 Schülern nur 12 Infektionen und Quarantänen. Der Düsseldorfer Weg hat sich meiner Einschätzung nach bewährt, eigentlich hätte man sich daran orientieren müssen.“ Dagegen findet Monika Maraun, Leiterin der Paulusschule, gut, dass die Strategie nun vereinheitlicht werden soll. „Meine Kollegen und viele Eltern haben oft nicht mehr nachvollziehen können, warum mal eine ganze Klasse und dann wieder nur einzelne Schüler zu Hause bleiben müssen.“ Und Kornelia Fehndrich, Pflegschaftsvorsitzende am Humboldt-Gymnasium, meint: „Die Quarantäne der Schüler über Tests zu verkürzen, ist richtig, aber die Kosten dafür dürfen auf keinen Fall an den Familien hängen bleiben.“