Monsunregen romantischer Musik

Yuja Wang und das Rotterdams Philharmonisch Orkest begeistern unter der Leitung von Yannikc Nézet-Séguin in der Tonhalle.

Foto: Felix Broede

Der Abend in der Tonhalle begann mit Bangen. Heinersdorff-Mitarbeiterin Nadine Kisselbach trat vor Konzertbeginn aufs Podium und hatte ungute Nachrichten: Die chinesische Star-Pianistin Yuja Wang fühle sich nicht gut, ein Arzt sei bei ihr. Man hoffe das Beste, stelle aber das Programm erst einmal um. Die für den Schluss geplante Vierte Symphonie Peter Tschaikowskys komme an den Anfang, und falls die Pianistin absage, müsse der Abend mit der für den Beginn geplanten Haydn-Symphonie ausklingen.

Lange Gesichter im Parkett, Enttäuschung macht sich breit, irgendjemand keift etwas vom Rang herab. Dann tritt der körperlich kleine, musikalisch aber ganz große frankokanadische Dirigent Yannick Nézet-Séguin in weißer, eng sitzender Jacke ans Pult und gibt dem Rotterdams Philharmonisch Orkest den Einsatz für Tschaikowskys „Vierte“. Schon der erste Blechbläsereinsatz überblendet jeden Missmut. Tschaikowskys Musik flutet den Saal. Einmal mehr erweist sich das Rotterdamer Orchester als eines der besten Europas. Seine Spielkultur besitzt annährend das Niveau des Amsterdamer Concertgebouw Orkest. Keine Instrumentengruppe zeigt Schwächen.

Nézet-Séguin ist seit zehn Jahren Chef des Orchesters, hat diese Position auch beim noch renommierteren Philadelphia Orchestra inne und befindet sich gegenwärtig auf Abschiedstournee mit den Niederländern. Die glückliche Dekade trägt Früchte. Die Harmonie zwischen Dirigent und Orchester wirkt perfekt. Das herzzerreißende Drama, das die Musik ausdrückt kommt voll zur Geltung. Der Kampf zwischen leidenschaftlichen Streichern und martialischem Blech braust vehement auf, die Holzbläser setzen schillernde Farbtupfer und die gesamte Symphonie entwickelt sich zum eindrucksvollen Bilderbogen. Der Applaus ist groß und es folgt schon die Zugabe: die Pizzikato-Polka von Johann Strauß, die ja sehr gut zum ebenfalls von zupfenden Streichern geprägten Dritten Satz von Tschaikowskys „Vierter“ passt.

Danach kommt eine Hoffnung machende Ansage des Dirigenten: Yuja Wang habe sich etwas erholt. Das Publikum geht aufatmend in der Pause. Nun erklingt erst einmal Haydns Sinfonie Nr. 49 f-Moll „La Passione“. Im Bezirk der Wiener Klassik zeigt sich die musikalische Kompetenz eines Orchesters ganz ungeschminkt. Denn in klassisch-klaren Sätzen herrscht gläserne Transparenz — Mogeleien würden sofort auffliegen. Und auch in dieser Disziplin leisten Nézet-Séguin Hervorragendes — Haydn blüht auf.

Jetzt kommt der große Augenblick: Der schwarze Steinway-Flügel wird nach vorne geschoben und tatsächlich: Yuja Wang zeigt sich auf dem Podium. Sie trägt ein grünes Glitzerkleid und ist sichtbar blass um die Nase. Auf dem Programm steht Virtuoses: Sergej Rachmaninows Viertes Klavierkonzert. Für solche Werke brauchen Pianisten Kondition. Wie fit die Pianistin zu diesem Zeitpunkt ist, wissen wir nicht. Aber ihrem Spiel ist keine Spur von Indisposition anzumerken. Yuja Wang interpretiert ihren Part makellos, technisch vollkommen, musikalisch eloquent, klanglich facettenreich. Das Zusammenwirken mit dem Orchester gelingt famos und ein Monsunregen romantischer Musik ergießt sich und macht den Konzertsaal zur Klang-Oase. Abermals Beifallsstürme. Zwei Zugaben, darunter Rachmaninows berühmte „Vocalise“.