Buch-Tipp-Reihe Neue Buchtipps von völlig Fremden in der Düsseldorfer Zentralbibliothek
Düsseldorf · Beim Buch-Talk in der Zentralbibliothek kann jeder sein liebstes Buch vorstellen. Der Termin am Mittwoch war gut besucht – wir haben fünf Empfehlungen mitgebracht.
Was soll ich als nächstes lesen? Diese Frage haben sich wohl viele Lesebegeisterte schon gestellt. Am Ende greift man dann doch zu Autoren, die man schon kennt – oder lässt sich von Freunden, Familie oder dem Buchhändler des Vertrauens neuen Lesestoff empfehlen. Seit November gibt es in der Zentralbibliothek eine neue Möglichkeit, Bücher zu finden, die sich lohnen. Beim Buch-Talk hat jeder, der möchte, fünf Minuten Zeit, sein eigenes Lieblingsbuch vorzustellen. Am Mittwochabend fand die zweite Auflage der neuen Veranstaltung statt.
In einem großen Stuhlkreis haben die knapp vierzig Teilnehmer Platz gefunden. Die Besucher sind noch etwas zögerlich – nur zwei trauen sich, selbst etwas vorzustellen, die meisten sind zum Zuhören gekommen. Doch Mitarbeiter der Bibliothek helfen aus – ganz freiwillig und auf eigenen Wunsch, wie Annette Krohn betont, die die Veranstaltung organisiert.
Norbert Kamp, Leiter der Bücherei, hat einen echten Klassiker dabei. Er stellt die neueste Ausgabe „Wer Strafe verdient“ der Linley-Reihe von Elisabeth George vor. „Diese Reihe hat mich mein ganzes Leben begleitet“, sagt er. Den ersten Band habe er mit 30 Jahren gelesen – jetzt sei er 60. Interessante Erkenntnis, die ihn auch dazu bewogen hat, das Buch hier vorzustellen: „Ich bin gealtert, die Figuren im Buch sind es aber nicht.“ Die seien noch immer im gleichen Alter, in der gleichen Lebensrealität wie damals. Auch wenn man als Leser mit ihnen durch Dick und Dünn geht – und so einiges mit ihnen erlebt. Die Bücher, so Kamp, seien spannend geschrieben und werden nie langweilig. Ein guter Grund, sich an die ganze Reihe zu machen – das seien ja auf 20 Bände nur knapp 17 000 Seiten, sagt er mit einem Augenzwinkern. Alle natürlich in der Zentralbibliothek ausleihbar. (Elisabeth George, Wer Strafe verdient, Goldmann-Verlag, 26 Euro)
Sachbuch erzählt von unauffindbaren Inselgruppen
Mitarbeiterin Sonja Meier hat ein Sachbuch dabei, das sie sich bereits in ihrem Geschichtsstudium gewünscht hätte. Der „Atlas der erfundenen Orte“ von Edward Brooke-Hitching ist ein Buch zum Blättern und Nach-und-nach-Erkunden. Er ist voll mit Karten, die so ganz und gar nicht stimmen. „Die wurden immer wieder so gezeichnet – heute konnte man aber herausfinden, dass bestimmte Inseln oder Ecken nie existiert haben“, sagt Meier. Da ist zum Beispiel von den Aurora-Inseln die Rede, die 1762 festgehalten wurden. Knapp 20 Jahre später machte sich ein Seemann auf die Suche – um fette Beute zu machen vermutlich – und konnte die Inseln einfach nicht finden. Der Autor und selbsterklärte Kartenfreak zeigt die alten Karten und erzählt die Geschichten hinter den „Lügen und Irrtümern auf Landkarten“. (Edward Brooke-Hitching, Atlas der erfundenen Orte, dtv-Verlag, 30 Euro)
Michael Arounopoulos ist einer der wenigen Besucher, die ein Buch dabei haben. Er stellt „Die Moselreise“ von Hanns-Josef Ortheil vor. Das Buch ist eine Zusammenstellung von alten Notizen des Autors, als dieser 1963 mit elf Jahren mit seinem Vater auf Reisen war. Der Roman eines Kindes, wie es auch im Untertitel heißt. „Der hat das Schriftstellersein von der Pieke auf gelernt“, sagt Arounopoulos. Denn schon in der Sprache des Elfjährigen ist viel Tiefe und Gewandtheit zu finden. In „Die Moselreise“ ist obsessiv alles aufgeschrieben, was das Kind erlebt hat. Von Alltäglichem wie Essen und Stationen der Reise bis zu Postkarten an die Mutter – in denen auch mal etwas ausgespart wird. Die Mutter muss ja nicht alles wissen. (Hanns-Josef Ortheil - Die Moselreise, Luchterhand Literaturverlag, 16,99 Euro).
Carsten Kremer hat ein sehr ernstes Buch mitgebracht. Die Autorin Delphine de Vigan ist für ihre realitätsnahen Bücher über menschliche Schicksale bekannt. In „Loyalitäten“ geht es um einen Zwölfjährigen, der aus Kummer über die Trennung der Eltern anfängt zu trinken. Dabei werden auch neben dem Alkoholismus des Jungen viele gesellschaftliche Themen aufgenommen. Es geht um die Depression des Vaters, um Selbstdarstellung in sozialen Medien und um die schwierigen Beziehungen zwischen den Protagonisten. Soll der beste Freund des jungen Theo ihm helfen und ihn verpetzen, oder muss er loyal sein? Wie kann Theo nach der Trennung Mutter und Vater gegenüber gleich loyal sein? „In diesem Buch lohnt sich jede Seite“, sagt Kremer über das eher kurz gehaltene Buch. (Delphine de Vigan, Loyalitäten, 20 Euro)
Bücherei-Mitarbeiter Tobias Schegerer hat ein Buch dabei, das er schon mit 16 Jahren zum ersten Mal gelesen hat. „Sanshiros Wege“ vom japanischen Autor Natsume Soseki erzählt von einem jungen Landei, das zum Studieren in die große Stadt zieht – und das Anfang des 20. Jahrhunderts, als in Japan vieles im Umbruch war. „Interessant fand ich, dass es so viele Ebenen gibt, auf denen erzählt wird“, sagt Schegerer. Als 16-Jähriger seien ihm ganz andere Dinge aufgefallen als später, als er es wieder zur Hand genommen hat. Neben den Grundhandlungssträngen habe er auch eine philosophische Komponente entdeckt. Zudem sei interessant, das Buch in Zusammenhang mit anderen Werken des Autors zu betrachten. „Das ist eine Art Knick im Spätwerk. Die Bücher danach werden immer dunkler.“ (Soseki Natsume, Sanshiros Wege, Bebra-Verlag, 24,90 Euro)
Annette Krohn ist zufrieden mit der Vielfalt des zweiten Buch-Talks. Sie hofft, dass sich bald noch mehr Leute trauen, ein Buch vorzustellen. Sie ist optimistisch. Der nächste Buch-Talk findet am Dienstag, 23. April um 18.30 Uhr wieder in der Zentralbibliothek am Bertha-von-Suttner-Platz 1 statt.