Occupy: Erster Zoff im Camp der Weltverbesserer
In den täglichen Versammlungen diskutieren die Protestler über den richtigen Ton.
Düsseldorf. Marcel trägt einen warmen Mantel, ein übergroßer Schal wärmt seinen Hals, die Hände hat er in den Jackentaschen. Es ist kalt am Mittwochabend bei der täglichen Versammlung der Protestler aus dem Occupy-Zeltlager an der Johanneskirche.
„Das ist doch egal, selbst wenn die Zelte mit Eis bedeckt sind, bleiben wir noch hier und halten zusammen“, sagt Marcel. Und doch gibt es auch Streit auf dem Martin-Luther-Platz. Es geht um den richtigen Umgang miteinander im Camp.
Dabei ist es ein unklares Feindbild, das die weltweite Bewegung bekämpft. Sie richten sich gegen soziale Ungleichheit, gegen Banker, für mehr Menschlichkeit. Ebendieses so schwer greifbare Ziel ist auch bei der Vollversammlung Thema, denn im Camp selbst gibt es einige Unstimmigkeiten. Es gab ersten Zoff, die Mitglieder fordern mehr Einfühlungsvermögen, kritisieren den Alkohol im Lager.
In der Versammlung wie im Camp-Alltag gibt es keine Hierarchien, keinen Anführer. Für die Diskussion werden Zeichen ausgemacht: Stimmt das Plenum einem Beitrag zu, werden die Hände hoch gehalten, fällt eine unpassende Bemerkung, kreuzen sie die Arme über dem Kopf.
„Ich finde es nicht in Ordnung, wenn Menschen, die hier nicht immer schlafen, abfällig behandelt werden“, wirft der 36-jährige Konstantin ein. Einige stimmen ihm zu, andere blicken stillschweigend auf den Boden.
Begonnen hat die Bewegung Mitte September im Zuccotti-Park in New York. Hunderte Menschen wollten die Wall Street besetzen (Englisch: „occupy“) — für ein gerechteres Finanzsystem, gegen soziale Ungleichheit. Über das Internet hat sich die Bewegung verbreitet, weltweit bauten Anhänger ihre Zeltlager auf.
In Düsseldorf leben nun knapp 20 Menschen auf dem Martin-Luther-Platz — auf unbestimmte Zeit. Denn nach Versammlungsrecht dürfen die Camper bleiben. Von der Kirche werden sie geduldet, aus dem Pfarrbüro kommt sogar der Strom für Licht und Herd.
Nachdem unzählige Fragen rund um die Camp-Etikette geklärt sind, ist wieder die Politik Thema und die Runde wird aufgeregter. Es geht um den ESM-Vertrag (Euro-Rettungsschirm) oder die Lage Griechenlands. Schnell wird deutlich: Die Protestler sind informiert, lesen Tageszeitungen, schauen Polit-Talkshows.
Sie verbreiten ihre Aktionen über das Internet und planen eine „Occupy-App“ fürs IPhone. In der Versammlung kritisieren sie kapitalistische Systeme und zücken doch ihre teuren Handys. „Wir sollten alle Wege nutzen, um unsere Inhalte zu verbreiten“, sagt Marcel und zeigt sein weißes IPhone.
„Dass jeder Teil des kapitalistischen Systems ist, lässt sich doch nicht ändern“, sagt Sebastian Heimann. Der pensionierte evangelische Pfarrer fällt auf in seinem dunkelgrauen Mantel und den Lederschuhen zwischen den jungen Leuten mit Schiebermützen oder Rasta-Zöpfen. Der 66-Jährige drängt sich auf eine Sitzbank, zwischen zwei Protestler. „Es sind Inhalte, mit denen sich jeder identifizieren kann“, sagt er.
Wie es mit dem Camp weitergeht, wissen die Bewohner nicht. Einige Zelte wurden wegen der niedrigen Temperaturen auf Europaletten gestellt, außerdem wurden den Campern winterfeste Isomatten gespendet. Und bei einem sind sich alle einig: „Wir bleiben, bis sich etwas in der Welt ändert.“