Botanische Sensation Pflanzlicher Dinosaurier blüht in Düsseldorf
Düsseldorf · Seit zwölf Jahren wächst an der Düsseldorfer Uni eine seltene Wollemie – von der man bis vor einem Vierteljahrhundert glaubte, sie sei seit Jahrmillionen ausgestorben. Jetzt soll sie helfen, die Art zu retten.
Eine junge Frau mit nicht viel mehr am Leib als ein paar künstlerisch drapierten Wollbällen schreitet den kleinen Steinpfad entlang. Sabine Etges lächelt nur. Die Wissenschaftlerin kennt das schon. Die 18 Meter hohe Glaskuppel des Kalthauses im Botanischen Garten der Düsseldorfer Uni wird gern von Modestudenten für ihre Shootings genutzt. Die eigentliche Sensation allerdings steht gleich neben dem Steinpfad und wurde von der halbnackten Schönheit, Designerin und Fotografin einfach links liegen gelassen: die Wollemie. Ein Dinosaurier-Baum in voller Blüte.
Die Wollemie ist eine Koniferenart, von der man lange glaubte, sie sei vor etwa 50 Millionen Jahren ausgestorben. Vor 25 Jahren kraxelte dann der australische Parkranger David Noble mitten im Nirgendwo vor den Toren Sydneys in eine unerforschte Schlucht und kam ahnungslos mit ein paar Blättern der Wollemie wieder heraus. Wissenschaftler glichen diese mit mehr als 100 Millionen Jahre alten Fossilienfunden ab – es war eine Sensation. Für die Botanik-Fachwelt in jedem Fall, als hätte man einen Stegosaurus oder T-Rex entdeckt.
Wo die wilden Wollemien wachsen, wird geheim gehalten
Bis heute wird der Wildstandort der Wollemienbäume strengstens geheim gehalten. Immerhin sind sie eine der seltensten Pflanzenarten auf dem Planeten. Nur in dieser einen Schlucht im Wollemi-Nationalpark haben sie überdauert – abgeschottet vom Rest der Welt. Etwa 200 Exemplare stehen dort noch. Erst kürzlich entkamen sie ihrer Ausrottung erneut: Die schweren Buschbrände im australischen Bundesstaat New South Wales wüteten auch in den Blue Mountains und – davon zeugen diverse Videos und Artikel der australischen Presse im Internet – rund um den geheimen Canyon. Feuerwehrleute bauten ein Bewässerungssystem für die wilden Wollemien auf, zogen zudem Barrieren aus Feuerschutzmittel rund um deren Heimat. Trotzdem kamen die Flammen gefährlich nahe. Knapp gelang die Rettung der Art.
Das Interesse an den Wollemien war nach ihrer Wiederentdeckung vor einem Vierteljahrhundert groß. 1,5 Millionen australische Dollar brachte die Versteigerung der ersten nachgezüchteten Pflanzen ein. Das Geld wurde wieder in den Schutz des Wildbestandes gesteckt. Und inzwischen wird von Fachleuten rund um den Globus versucht, die Wollemie nachzuzüchten. Der Botanische Garten der Heinrich-Heine-Universität erhielt zwei dieser Bäume als Geschenk zur Eröffnung des neuen Gewächshauses vor zwölf Jahren.
Aber wie kultiviert man eine Pflanze, von der niemand auf der Welt wusste, dass es sie noch gibt? Die Düsseldorfer Botaniker ließen ein Bäumchen im Kübel, das andere wurde im Kuppelhaus eingepflanzt. Dort wuchs es vor sich hin, bis auf die schon recht stattliche Größe von sechs Metern. Nach einigen Jahren bildeten sich männliche Zapfen an den unteren Zweigen, die wie eine Mischung aus Farn und Tannenbaum aussehen. Jetzt folgte plötzlich die Überraschung: Zum ersten Mal bildeten sich weiter oben an der Wollemie weibliche Blüten. Wenige Zentimeter große, grüne Quasten, für den Laien unauffällig. Entsprechend ist auch von Menschenschlangen, wie sie etwa in Bonn die riesige, stinkende Blüte der Titanenwurz regelmäßig anzieht, keine Spur. Aber: „Es ist etwas ganz Besonderes“, sagt Sabine Etges, wissenschaftliche Leiterin des Botanischen Gartens.
Da die männlichen Blüten an dem Baum noch auf sich warten lassen, starteten die Forscher flugs einen deutschlandweiten Aufruf und besorgten sich ein Gläschen mit männlichem Pollenstaub von den Kollegen aus Marburg. Seither steht Reviergärtner Lars Leonhard alle vier Tage auf der Leiter und bestäubt seine Wollemie mit Pinsel und Pipette. Viel hilft viel, ist die Devise – schließlich weiß niemand, wann der Dino-Baum bereit zur Vermehrung ist. „Man kann es sich vorstellen wie eine künstliche Befruchtung, da braucht es auch oft mehrere Versuche“, erklärt Etges.
Zuchtversuch: Aus 900 Samen nur sechs Jungpflanzen
Ob Leonhards Bestäubung Erfolg hatte, wird er erst in etwa 20 Monaten wissen. So lange dauert es, bis die Blüten zu Zapfen herangewachsen sind, verholzen und schließlich die Samen freigeben. Sind die erst in der Erde, können weitere sechs Monate vergehen, bis hoffentlich zarte Wollemienkeime hervorlugen. In Marburg, berichtet Etges, hatte man schon einmal 900 Samen selbst produziert – ganze sechs Jungpflanzen wurden daraus. „Das ist eine sehr magere Ausbeute.“ Und wann der Düsseldorfer Dino-Baum erneut in voller Blüte steht, steht in den Sternen. Für Leonhard könnte es in seiner Karriere das erste und letzte Mal sein. Dinosaurier nachzuzüchten ist doch etwas komplexer, als die Jurassic-Park-Filme glauben machen wollten. Vor allem ist es Geduldsarbeit. „Aber es macht Spaß“, beteuert der Gärtner.
Stolz, sagt er, wäre er, wenn es mit der Nachzucht klappt. Vor allem aber sei jede neue Wollemie eine echte Lebensversicherung für die Hunderte Millionen Jahre alte Art. Sie hat sich wohl nicht umsonst so lange vor der modernen Welt versteckt – geschützt durch karge Steinwände und australische Weite. Jeder Pilz, den Besucher an den Händen oder Schuhsohlen versehentlich in die Schlucht einschleppten, könnte das Aus bedeuten. Dennoch träumt Lars Leonhard natürlich von Berufs wegen davon, irgendwann zu den letzten Wild-Wollemien nach Down Under zu fliegen. Als Geburtshelfer von deren Düsseldorfer Enkeln sozusagen – wenn die Geburt denn klappt.