Mode Glitzerpumps und Angstschweiß: Die Abschluss-Modenschau der Düsseldorfer AMD

Düsseldorf · WZ-Mitarbeiterin Inge Hufschlag saß in der Jury der diesjährigen Abschlussmodenschau der Modeschule. Und gibt Einblick in ihre Favoritenliste.

 Inge Hufschlag (l.) hinter den Kulissen der Abschluss-Modenschau der AMD.

Inge Hufschlag (l.) hinter den Kulissen der Abschluss-Modenschau der AMD.

Foto: Judith Michaelis

Was ist Mode? Klar, das sind Anziehsachen. Aber auch Ansichtssachen, wenn man ihren Entstehungsprozess beobachtet, wie er an Akademien wie der für Mode & Design (AMD), einer der renommierten Modeschulen in Düsseldorf gelehrt wird. Deren Graduate-Fashion-Shows vor der Familie, Freunden, Fashion-Fans sind denn auch mehr als ein Leistungsbeweis nach mehreren Semestern Mode-Studium, und der Stoff, aus dem die Träume von einer großen Karriere in einer glamourösen Branche sind. Die WZ war in diesem Jahr in der Jury auch backstage mit dabei.

Spannung hinter der Bühne. Jede Absolventin hat ihren Kleiderständer, auf Zetteln die Namen der Models, die vorführen. Davor stapeln sich Schuhe, klobige Moon Boots, glitzernde High Heels, grellfarbene Sneakers. Drei Monate haben 17 Absolventen an ihren Abschlusskollektionen gearbeitet, oft bis in die Nacht, auch weil Stoffe zu spät kamen oder gar nicht, zum Schluss das passende Schuhwerk fehlte. 15 Nachwuchstalente sind letztendlich bei „Exit 20“ dabei – diesmal nur weibliche.

Jetzt liegt Nervosität in der Luft, eine kleine Band macht sich für ihren Auftritt bereit. Die AMD hat diesmal eine coole Location gewählt: Die Design Offices im neuen Gebäude Fürst und Friedrich, benannt nach der Ecke, wo Fürstenwall und Friedrichstraße aufeinandertreffen. Hier sollen künftig auch andere Karrieren geschmiedet werden.

Verkäuflichkeit ist zunächst kein Kriterium für die Jury-Bewertung

In der ersten Reihe machen die drei Jurymitglieder – neben der Autorin auch Fashion Director Anna-Christin Haas und Breuninger-Geschäftsführer Andreas Rebbelmund – ihre Klemmbretter klar. Beurteilt werden sollen die Konzeption hinter einer Kollektion, die meist aus einem halben Dutzend Modellen besteht, die Wahl der Materialien, der Farben, die Kombination von beidem und letztendlich die Qualität der Präsentation.

Die spätere Verkäuflichkeit der jungen Mode spielt da praktisch noch keine Rolle, Nachhaltigkeit – ansonsten ein großes Thema an der AMD – eine Nebenrolle. So eine Abschlussmodenschau ist vielmehr noch einmal eine große Freiheit, die genutzt werden darf und soll. Hört sich nach einer gewissen Leichtigkeit an, ist es aber nicht. So viel freie Kreativität muss erst einmal gerafft werden. Da wird auch schon mal leicht oder schwer übertrieben, Farben beißen sich, gewollt oder ungewollt, Dekolletees verrutschen, weil der Stoff zu schwer, der Schnitt zu riskant ist. Doch es ist gerade dieses Unperfekte, das den Reiz einer solchen Show ausmacht. Aber nicht leicht zu beurteilen ist, vor allem nicht objektiv. Fragen wie „Würde ich das anziehen?“ gehören natürlich ausgeklammert.

Mode mit Aussage also. Und Haltung. Dafür oder dagegen: Digitalisierung, Diversität, Klimawandel, das sind so die Themen. Mode ist eben auch, vielleicht sogar in erster Linie, Kommunikation. So unterschiedlich die Kollektionen der jungen Talente auch sein mögen, spiegeln sie doch alle irgendwie die Befindlichkeit einer ganzen Generation in einer sich verändernden Welt. Es ist die der Twentysomethings, der Zwanzig- bis Dreißigjährigen, die gerade ihre eigene Sinnkrise kreiert hat: Quarterlifecrisis.

Dagegen hat Lenas Knorr ein Rezept, das nicht neu ist, aber schön interpretiert mit strengem Blazer zum zarten Tüllrock. Ihre trotzige Antwort auf die Entweder-oder-Frage: Beides! Lingerie möchte die 22-Jährige später mal machen. Oder Brautmode. Aber die BHs unter dem transparenten Gespinst sitzen noch nicht richtig.

Vor der Krise da draußen kann man sich auch drinnen verstecken unter großen gepolsterten Kapuzen, in denen Mode, Mensch und Macher zu verschwinden drohen. Nicht wenige Outfits wirken, als hätten sich ihre Träger und Trägerinnen, gerade wach geworden, einfach nur ihr Bettzeug geschnappt und sich darin eingewickelt. Zudecke als Zuflucht? Grelle Farben als Signal, gar Hilferuf? Wer will das wie beurteilen? Ok, die Geschichte lehrt: Mode kann Tarnung oder Offenbarung sein, Uniform, Kostüm, Rüstung. Fashion for Future. Aber mit solchen übergestülpten Philosophien – wie man sieht – auch schwer überfrachtet wirken.

Daria Prokopp widmet sich der Digitalisierung. Ihre Kollektion, mal voluminös, mal hautnah, ist von Kontraststreifen durchzogen, die wie Leitungen wirken. Dabei interpretiert sie einen Trend aus den Nuller-Jahren neu: Cocooning, der Rückzug in die eigenen Wände, bei ihr eher in eine zweite Haut.

Zum Dahinschmelzen soll Silvia Messales Mode sein: Melting away. Die Verschmelzung der Gletscher in der Arktis wolle sie darstellen, ein Onkel hat ihr von seinen Reisen dorthin erzählt. Sie setzt es um in Asymetrie und Brüche. Lockere Kapuzen, die manchmal wie Madonnenschleier auf fließenden, meist bodenlangen Gewändern sitzen. Wobei der Klimawandel mit den Mode-Saisons auch etwas gemeinsam hat: Jahreszeiten lösen sich auf, man unterscheidet längst nicht mehr wie einst zwischen Frühjahr-/Sommer- und Herbst-/Winterkollektion, oft völlig überhitzt werden von den Herstellern monatlich aktuelle Kollektionsteile auf den Markt geworfen. Ob diese Generation Modeschöpfer dabei noch mitmachen will oder wird?

Kämpferisch kombiniert die 25-jährige Designerin Gizem Celik Spitze und Tüll aus der Damenmode des 19. Jahrhundert mit dem derben ledernden Schutzpanzer der Biker-Mode, das Feminine mit dem Maskulinen. Genderrollen verschmelzen. „Atmaca“ ist türkisch und heißt Habicht, ein schwarzglänzender Vogel, der für Gizem Kraft, Schönheit, Schnelligkeit und Freiheit symbolisiert. Sie ist eine Kandidatin für die engere Auswahl, die Shortlist.

Manche Stoffmuster wie Pepita wirken auch spießig

Schwarz-weiß soll Gefühllosigkeit oder Neutralität ausdrücken in Heda Labasanovas Kollektion „Android“, ja, sogar künstliche Intelligenz spiegeln. Ob die Verwendung so spießiger Stoffmuster wie Pepita oder Glencheck ihre Idee war oder aus der Restekiste eines Sponsoren stammt? Egal, wirkt witzig.

Zwischen Uniform- und Folklore-Look schwankt Isabella Wolfs Kollektion „Stop it“ mit viel, manchmal zu viel Liebe zum Detail und thematisch doch arg überfrachtet mit dem Thema Tierschutz.

Mit kleinen Tricks trotzt Carolin Spangenbergs „metamorph“ den Wetterbedingungen einer neuen Welt. Beschichtete Baumwolle gegen den Wind, Neopren zum Abtauchen in andere Modewelten. Locker demonstriert die 24-Jährige ihre Veränderungsvorschläge auf dem Catwalk. Eine intelligente, stimmige Kollektion, unbedingt für die Shortlist.

Dagegen sind bei Dana Büttners Kollektion „Sensory Overload“ zu viele Schnallen dran, obwohl die Teile durchaus funktional und wandelbar sind. Trotz Signalfarben gibt es einen Rückzug hinter hohe Kragen und in tiefe Kapuzen. Schon wieder! Auch Jocelinge Klein probt den Überlebenskampf mit Mode. Überall Schutzanzüge mit Kapuzen. Wo bleibt bitte die Schönheit?

Die berufstätige Frau stark machen, hat sich Hilal Uludag vorgenommen, durchaus auch mit weiblichen Attributen wie zarter Spitze. Wie man die selber macht, hat sie von ihrer Oma gelernt, deren zartvergilbte Werke sie auf elegante Bürokleidung appliziert. Generationsübergreifende Modeidee. Darf sogar praktisch sein: In ihrem Video zieht eine junge Frau ihren Laptop aus einer Spitzenhülle.

Esra Sertcelik widmet ihre Kollektion Istanbul, der Stadt der zwei Kontinente, und schlägt ihre Brücke zwischen Tradition und modernem Lifestyle. Warum sie Mode macht? „Dabei bin ich frei und unabhängig, kann meine Message rüberbringen.“ Yina Ren beanwortet die Frage so: „Mode ist eine gute Art, gesellschaftliche Prozesse zu interpretieren, kann Kunst sein, dabei aber auch massentauglich.“ Dafür kombiniert sie virtuelle Realitäten und Natur in nur zwei Farben: Creme und Flieder.

Janina Lewitz versucht sich in der Visualisierung von Klängen. Für sie eine „Suche nach der Stille, die zum Luxus geworden ist.“ Jocelyn Klein wappnet mit „Human Survival“ die Träger ihre Mode für den Überlebenskampf, Schutz durch Volumen, schon beinahe ein Bühnenbild. „Perfectly Imperfect“, Sonja Hönes Motto könnte Dachthema sein. Josephine Leccesse setzt hinter ihr „Unperfect“ ein Fragezeichen. Mit ihrer Mode möchte zeigen, dass kein Mensch perfekt sein muss, um gut genug sein. Kann man sich anziehen – oder nicht.

Die Düsseldorfer Gewinnerin ist Yina Ren. Sie steht jetzt beim Jury Fashion Award 2020 im Wettbewerb mit den übrigen AMD-Ausbildungsstätten in Berlin, Hamburg, München und Wiesbaden. Der Gesamtsieger oder die Siegerin darf dann die eigene Kollektion im Rahmen der London Fashion Week 2020 auf der London Graduate Fashion Show präsentieren.