Modewoche Berlin oder Düsseldorf? Beides!
Stadt-Teilchen: In der Bundeshauptstadt brummt der Bär. In der NRW-Hauptstadt gähnt der Löwe.
Düsseldorf. Ich war mal wieder in Berlin. Diesmal nicht zur Modewoche. Vor, während und nach den Glamour-Tagen wird die Bundeshauptstadt ja gerne mit der Landesmetropole von NRW verglichen. Dem Bild vom geschönten Ausnahmezustand kann keiner gerecht werden. Außerdem ist die Alltags-Modeszene in Berlin oft viel spannender — besonders mitten in der Mitte. Da lohnt sich ein Vergleich schon eher. Hier wie dort gibt es zum Beispiel eine Ackerstraße mit witzigen Läden. Auch rechts und links davon.
Zum Beispiel in der Auguststraße. „People“ steht nicht nur für den Pop up Store, sondern für ein Projekt unter dem Motto „Stop Labeling“ — ein Signal, was bei labelverliebten Düsseldorfer(innen) wohl weniger gut ankäme. Die Designerinnen Eva Sichelstiel, Cornelia Zoller und Ayleen Meissner haben Mode mit Straßenkindern entworfen und verwirklicht. Dabei kooperieren sie mit einer Initiative, die sich für Kinder in Not einsetzt. Die konnten am Anfang kaum eine Schere halten. Trauten sich nicht und nichts zu.
Was dann motivierte: Fehler durften gemacht werden. Sie waren sogar ein Teil des Entwurfs - zum Beispiel einer Hose mit einem weitem und einem engen Bein. Dazu ein klassisches weißes Hemd, auseinandergenommen und falsch, dabei richtig schön zusammengesetzt — mit einem halben Kragen. Eva Sichelstiel: „Wir sehen Mode als Medium.“ Auch als Bewegung gegen Wegwerfkultur. Jedes Teil hat eine Geschichte, die auf einem postkartengroßen Etikett von dem Designer-Nachwuchs erzählt wird. Das Ergebnis ist hochwertig, bezahlbar und findet Käufer.
Gegenüber leuchten große, bunte Bälle im Schaufenster. Hier haben pfiffige Designer Gymnastikbälle, die aus der Mode gekommen sind, mit Filz bezogen und damit tolle Wohn-Accessoires kreiert. Überhaupt: Second Hand und Recycling sind ein großes Thema in Berlins Modeläden. In einem entdeckte ich eine blaumetallic schimmernde Lederjacke mit Riesen-Schulterpolstern. Musste aus den 70-er Jahren sein. Der dazu passende Bleistift-Rock war schon verkauft worden. Im Innenfutter der Jacke prangte noch das Etikett: Herpich, Düsseldorf. Das war mal eine ganz feine Adresse für Pelze in Leder, in Berlin an der Königstraße, in Düsseldorf an der Königsallee.
Manche dieser gar nicht muffigen Vintage-Läden tragen witzige Namen wie „Bis es mir vom Leibe fällt“ oder „Kollateralschaden & TingDing“. Letzterer ist in einer Nebenstraße in Neukölln, das ein wenig an Flingern erinnert. Wobei auch in Berlin die Immobilienpreise in solchen Stadt-Teilchen steigen, besonders am Wasser, am Maybach-Ufer, wo zweimal im Monat Trödelmarkt ist, bei dem sich junge Berlinerinnen mit witzigen Sachen eindecken. Das Angebot ist allerdings nicht so schick wie auf dem P 1 in Düsseldorf, längst ein toller Tipp für Marken-Klamotten zum kleinen Preis.
Was es in Berlin, besonders in seiner kreativen Mitte, viel weniger gibt als in Düsseldorf: gähnende Leerstände, tote Schaufenster-Augen. Wenn mit einer Adresse kein Geschäft zu machen ist, schwupps, entsteht in kürzester und für kurze Zeit ein flotter Pop-up-Shop. Nicht so inszeniert wie bei uns schon mal auf der Hohe Straße, sondern eben aus der Not heraus das Beste draus gemacht. Wer hat das noch mal gesagt: „Alle Kreativität ist eine Summe der Verzweiflung?“ Das ist es, das macht den Unterschied: arm + sexy macht hungrig. Reich + sexy macht eben satt. Da entstehen Ideen höchstens mal beim Wiederkäuen.
Pop-up-Shops findet man in Berlins Mitte an jeder Ecke. Und beileibe nicht nur für cool kalkulierte Mode. In einem leeren Laden an der Mega-Meile Tor-Straße sind zur Blauen Stunde Yoga-Matten ausgerollt und Kerzen aufgestellt: Pop-up-Yoga. Erleuchtung to go als Geschäfts-Idee. Dasselbe funktioniert offensichtlich auch mit Massagen. Nebenan beim Türken kann man noch nachts um 2 Uhr Lebensmittel und Getränke kaufen. Hier stimmt eben die Durchmischung von Handel und Gastronomie.
Mag sein, dass man auf Reisen auf bisher unbekannten Pfaden entspannter bummelt, genauer hinguckt, einfach neugieriger ist. Selbst wenn man diesen Bonus abzieht, bleibt der Eindruck: Der Berliner Bär brummt, wo der Bergische Löwe in Düsseldorf gähnt.
Kann man nicht vergleichen? Die Hauptstadt ist eben viel größer als Düsseldorf? Na, und? Platz ist in der kleinsten Mitte. Warum nicht auch in der Carlstadt oder auf der Lorettostraße in einem Laden lieber Yoga praktizieren, als ihn leer stehen zu lassen? Aber dafür müssten wohl als Erstes die satten Immobilien-Eigentümer mit ihren Preisvorstellungen beweglicher werden. Aber wer will in dieser Branche Kopfstände üben?
Die Frage Berlin oder Düsseldorf hat das renommierte Mode-Magazin Vogue — die Herpichs in den 70ern - für sich längst diplomatisch beantwortet: Beides. Einmal im Jahr ist Fashion’s Night Out. Am 9. September 2015 in Berlin, am 11. September auf der Kö und drumrum. Dann brummt auch Düsseldorf. Der Löwe ist los - zumindest für eine Nacht.