Stadt-Teilchen Summer in the city

Düsseldorf · Unser Kolumnist entdeckt den Düsseldorfer Medienhafen am frühen Morgen.

Wasserbilder im Medienhafen.

Foto: Hans Hoff

Es ist wie ein Zauber. Die Farben so bunt, die Formen so weich. Sie verschwimmen im wahrsten Wortsinne. Das Rot, das Grün, das Braun, das Orange. Es ist, als baue sich da zu Füßen des Betrachters eine Fata Morgana auf, ein flimmerndes Aquarell des Lebens. Unwirklich, beinahe surreal. Konturierte Ränder sind da keine mehr, allenfalls noch wabernde Begrenzungen. Der Blick so klar, das Gesehene so bewegt, so lebhaft, so flirrend.

Man muss dieser Tage schon etwas früher aufstehen, wenn man sich diesem Zauber hingeben will. Wenn die Sonne schon ein bisschen Kraft hat, aber den Blick über die Dächer noch nicht wagt, dann strahlt sie erst einmal ein paar Häuser am Hafen an und wirft deren nüchternes Antlitz als verspielte Spiegelung aufs Wasser, wo die Farben und die Formen eine Weile ein ganz eigenes Leben führen. Es ist, als ob tausend Feen hier leicht schlaftrunken den Pinsel geschwungen hätten.

Manchmal sind es nur Momente, in denen sich das wirkliche und das gespiegelte Sein gleichen. Wenn das Wasser einen Augenblick ruht und ganz still liegt, so als halte der Beweger der Wellen für einen Moment die Luft an, dann nähern sich die Abbilder dem Abgebildeten an. Aber es reicht schon ein kleiner Windstoß, und schon wird verwaschen, was eben noch klar schien.

Mit einem belegten Brötchen und einem Kaffee in der Hand kann man das wunderbar beobachten, wenn man sich früh auf eine der Steinbänke an der Rückfront der Kaistraße hockt und schaut, wie die Elemente miteinander spielen. Es ist die Morgenruhe vor einem heißen Tag.

Später wird alles wieder hektisch werden, dann geht die Schwitzerei los, das Drängeln, das Nörgeln, das Nichtkriegen, das Dochwollen. Aber jetzt um kurz nach sieben spielt all das noch keine Rolle. Es ist Zeit für Muße, für einen kleinen Museumsbesuch in der virtuellen Ausstellung der unwirklichen Wirklichkeit.

Wie oft ist diese Reihe von Häusern schon fotografiert worden, wie oft war sie schon Kulisse für Aufnahmen. Das bunte Kleckskastengebilde namens Colorium, die einst edel anmutenden Speicherhäuser, die nüchternen silber-metallenen Büro- und Hotelklötze, das Hafengebäude, an dem einst die albernen Flossis hingen. Diese Ansammlung von ungleichen Elementen, die ein bisschen wirkt, als habe ein Riese beim Tetris-Spiel früh die Lust verloren und einfach eine Klötzchen-Schrotthalde hinterlassen, die man nur mit viel gutem Willen als architektonische Errungenschaft bezeichnen kann. Alles tausend Mal gesehen, aber es hat tausend Mal nicht Zoom gemacht.

Aber jetzt am Morgen schafft es diese wirre Aneinanderreihung von Klötzen mit einer Dopplung ihrer selbst, den Geist in seinem Betrieb anzuhalten, zurückzuwerfen auf einen kindlichen Zustand des puren Staunens. Mund auf, Pupillen geweitet. „Ach, so kann das sein“, würde der Geist sagen, wenn er denn Mund und Zunge hätte, und er würde spüren, wie ihm ein Schauer der Ergriffenheit über den Rücken liefe, hätte er denn einen.

Hat er natürlich nicht. All das hat nur der Mensch, dem gelegentlich ein Geist innewohnt, der mehr ist als bloß die Summe seiner Teile. Es verleiht kurz ein Gefühl der Größe, wenn solche Gedanken keimen, wenn sie noch nicht gleich hinweggeschwemmt werden von einem kantigen „Jetzt konzentrier dich mal“-Imperativ.

Auf einmal quert eine Ente das Zauberbild von rechts nach links. Sie verwässert das Gemälde, es wabert und es wellt sich. Auf einmal verschwimmen die ohnehin schon weichen Formen zur diffusen Masse. Dann sind da auf einmal keine Gebäude mehr zu sehen, dann sind da nur noch Farbspiele zu beobachten. Ein bisschen Orange, ein bisschen Grün, viel Braun und das noch beschattete, schlammfarbene Hafenwasser, das selbst noch von keinem Licht benetzt wurde.

Ganz oben in einem der gegenüberliegenden Gebäude tritt jemand auf den Balkon. Es ist nicht genau zu erkennen, ob ein Mann oder eine Frau. Erst recht ist nicht zu diagnostizieren, was diese Person gerade tut. Vielleicht trinkt sie auch einen Kaffee, vertilgt auch ein Brötchen. Natürlich schaut sie auch aufs Wasser, von oben, wie könnte sie auch anders. Aber es darf bezweifelt werden, ob dieser Mensch dort oben dasselbe sieht, das von der Kaistraße aus zu entdecken ist.

Es ist auch die relative Ruhe, die an solch einem Morgen für Stimmung sorgt. Also die Stadtruhe, die völlige Stille nicht kennt, die immer irgendwo etwas am Rauschen oder Scheppern hat. Aber morgens eben ein bisschen verhaltener.

So auch jetzt. Von hinten dröhnt ab und an ein Fluggeräusch, das daran erinnert, dass in Lohausen noch gestartet wird. Hinter den Klötzchenhäusern piepst irgendwo ein Kran, und an einer nahen Baustelle schabt ein Arbeiter Kiesreste zusammen. Es ist, als hätten die Geräusche aufeinander gewartet, um gemeinsam eine Art Hafensymphonie zu bilden, den Soundtrack zum Wasserbild. Der Kran piepst, die Schaufel schabt, und die Düsen dröhnen. Wäre Kraftwerk noch eine kraftvoll kreative Band, sie könnte einen großartigen Track aus all dem destillieren.

Dann ist es kurz nach acht, und die Sonne schiebt sich über die Dächer der Kaistraße. Sie wärmt kurz den Rücken und macht die Formen der direkten Umgebung gleißend scharf. Dann brennt sie schon im Nacken. Es wird zweifellos ein heißer Tag. Eine andere Melodie als die von Kran und Schaufel drängt sich ins Bewusstsein. „Hot town, summer in the city“. Die Stadt ruft die Hitze aus. Jetzt ist kein Schatten mehr. Gleich werden die Menschen nach Schatten suchen und keinen finden. Ihre Köpfe werden heißer werden als die von Streichhölzern, wenn sie Reibung erfahren mussten.

Erst in der Nacht wird es wieder kühler werden, eröffnet sich eine andere Welt. Dann werden die Idioten, die zum Sonnenuntergang ihre Hubraumgeräusche an den Wänden der Hafenschluchten testen und sich für einen Moment im Widerhall ihres Dröhnens groß fühlen, wieder weg sein. Dann werden sie irgendwo anders ihresgleichen berichten, wie toll es war, als sie mit dem Gaspedal mal wieder so richtig Remmidemmi veranstaltet haben. Sie merken dabei nicht, dass sie handeln wie Fünfjährige, die gerne mal Müllmann wären und die Verschlussklappen der Mülltonnenschächte scheppernd in ihre Fassung zurück donnern lassen. Wenn die Nacht wieder die Kühle bringt, dann sind sie alle fort und mit ihnen jene, die viel Geld, aber wenig Geist ihr eigen nennen.

Die laue Nacht ist im Sommer oft besser als der brutale Mittag, besser als der folternde Nachmittag, der das Hemd feucht werden und die Füße am Asphalt kleben lässt. Die Nacht ist ein bisschen wie die Erlösung.

Und die Nacht ist jene Zeit, die unweigerlich zum Morgen führt. Zum frühen Morgen. Wenn es dann wieder hell wird, wenn um kurz nach vier die ersten Vögel bekunden, dass ihr Wecker schon angeschlagen hat, dann ist es Zeit, sich vorzubereiten. Einen Kaffee kaufen, ein Brötchen mit Körnern. Dann runter zum Hafenbecken und aus dem warmen Schatten heraus auf die wimmelnden Wasserbilder warten, und wenn sie dann erscheinen, die Klarheit der Abbilder bewundern. Nur für kurze Zeit den Augenblick genießen, bevor der große Motor wieder anläuft. Hot town, summer in the city.