Trauer im Netz: Wo die Liebe ewig lebt

Hunderte Portale bieten die Möglichkeit zu virtueller Trauer. Jeder kann an jeden erinnern. Das kann zum Problem werden.

Foto: WZ

Basti hatte sich viel vorgenommen. Aber das Schicksal hatte andere Pläne. Vier Wochen vor seinem 23. Geburtstag starb der junge Mann mit dem gewinnenden Lächeln in einem Berliner Krankenhaus. Um 22.05 Uhr. An einer seltenen Krebsart. Oder Robin. 19 Jahre war der alt, als er mit dem Auto tödlich verunglückte. Seine Mutter und das Internet sorgen dafür, dass er nicht vergessen wird.

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2,6 Millionen Treffer. Suchzeit: 0,35 Sekunden. Das kommt heraus, wenn man den Begriff „Trauerportal“ bei Google eingibt. Für „Todesanzeigen“ spuckt die weltgrößte Suchmaschine 1,94 Millionen Treffer aus. In 0,46 Sekunden. Die Trauer gehört zur Netz-Wirklichkeit wie Shoppen, Dating oder Kleinanzeigen.

„Digitale Gedenkseiten oder im Gedenkstatus befindliche Facebook-Profile können als neuer Kommunikationskanal bewertet werden, der Emotionen öffentlich verhandelbar macht“, so die Theologin Swantje Luthe. Sie forscht an der Uni Paderborn seit Jahren zu Trauer im Netz: „Trauer sucht sich Orte und troststiftende Rituale“, schreibt sie in einem Essay zum Thema. Das Posten auf einer digitale Trauerseite sei zu vergleichen mit dem Niederlegen von Blumen an einem Straßenkreuz, das an ein Unfallopfer erinnert. Das Portal sei ein symbolischer Ort, der bewusst aufgesucht werden kann, und an dem Trauer und Erinnern „öffentlich verhandelt wird und öffentlich zur Darstellung kommt“.

Viele Seiten-Konzepte ähneln sich: Nachruf, dazu ein Bereich für Fotos und/oder für Videos, oft einer für Clips mit Musik. Und die Möglichkeit, virtuelle Kerzen anzuzünden, virtuelle Blumen zu hinterlegen oder einen Kondolenz-Kommentar abzugeben. Musterbeispiel: gedenkseiten.de. Hier haben die Eltern von Basti und Robin ihre Trauer niedergeschrieben. Und mehr als 20 000 weitere Hinterbliebene. Robins Gedenkseite wurde mehr als 770 000 Mal besucht, Bastis fast 150 000 Mal.

Auf dem Portal finden sich auch Kondolenz-Seiten für Whitney Houston, TV-Makler Thorsten Schlösser oder Entertainer Dirk Bach. Denn Gedenkseiten müssen nicht unbedingt von Verwandten erstellt werden: Jeder kann um jeden im Netz öffentlich trauern. Oft gratis. Denn viele Seitenbetreiber leben nicht vom Todesanzeigen-Preis. Sondern von virtuellen Blumen oder dem Verkauf von Informationen, Dienstleistungen oder Accessoires rund ums Ableben, von Einnahmen durch Werbebanner oder von einer Mischung von all dem.

Die freie Zugänglichkeit kann zum Problem werden. So stritten sich in Saarbrücken eine Witwe und der Betreiber einer Trauerseite vor Gericht. Der Seitenbetreiber hatte — vielleicht um die Seite zu füllen — eine Traueranzeige für den verstorbenen Gatten erstellt, mit allem drum und dran: Name, Beruf, Alter, Ort des Grabes — alles Informationen aus den Todesanzeigen in örtlichen Zeitungen. Zum virtuellen Trauerpaket gehörte auch ein Kondolenzbuch. Hier tauchten Einträge auf, in denen eine Unbekannte andeutete, sie sei die Geliebte des Toten gewesen — und die Witwe stand als gehörnte Gattin da.

Der Prozess zog sich durch zwei Instanzen. Letztlich musste der Seitenbetreiber die anrüchigen Kondolenzbuch-Einträge löschen — nicht aber die Anzeige. Auch das hatte die Witwe gefordert. Das Gericht sah jedoch keinen Verstoß gegen die Persönlichkeitsrechte des Toten: Es seien alle Informationen vorher öffentlich gewesen (Landgericht Saarbrücken, 14.02.2014, Az. 13 S 4/14).

Sogar die Trauer um Haustiere hat ihre eigenen Seiten - wenn auch nicht so viele. 224 000 Treffer liefert die Google-Suche nach „Traueranzeigen Haustiere“, unter „Trauerportal Haustiere“ findet man knapp 29 000 Einträge. Zu den ersten Treffern gehören anubis-tierbestattungen.de und rosengarten-sterne.de — zwei Portale von Tier-Bestattern. Die Konzepte ähneln den Trauerseiten für Menschen. Nur lassen die Besitzer oft mehr Bilder sprechen, während die Lebensläufe von oder letzte Grüße an Flecki, Muffin oder Dorie eher kurz ausfallen. So oder so: Die Anteilnahme ist gegeben. Auch für die felligen oder geschuppten Freunde brennen Kerzen. Und Fremde fühlen mit den Familien.