Verwahrlosung - Kindesentzug ist die Ultima Ratio

Zehn verwahrloste Kinder in Garath — die Eltern stehen deshalb gerade vor Gericht. Wann und wie aber schreitet das Jugendamt in solchen Fällen ein? 2017 handelte die Behörde in 75 Fällen sofort, weil Kinder in akuter Gefahr waren.

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Düsseldorf. Vernachlässigt, verwahrlost, verletzt, misshandelt: Was das aktuell vor Gericht stehende Garather Elternpaar seinen zehn Kindern laut Staatsanwaltschaft alles angetan haben soll, liest sich schauderhaft. Wie kann so etwas geschehen? Warum fällt das nicht auf, warum greift niemand ein? Der Vater der Angeklagten macht (wie berichtet) nun dem Jugendamt Vorwürfe, seine Tochter habe dort mehrfach um Hilfe gebeten, es sei aber fast nichts passiert.

Zu dem laufenden Verfahren will sich das Jugendamt nicht äußern. Zur generellen Entwicklung aber schon — und die zeigt, dass der Fall nicht alleine steht: So gab es 2017 in Düsseldorf insgesamt 257 Fälle von ernster Kindeswohlgefährdung, in 75 davon habe man unverzüglich gehandelt, teilt der Abteilungsleiter Soziale Dienste, Stephan Siebenkotten-Dalhoff, am Donnerstag auf WZ-Anfrage mit.

Diese 75 Fälle resultieren aus 1715 Mitteilungen, die beim Jugendamt von Dritten eingingen — sei es aus Kita oder Schule, von Nachbarn und Bekannten, der Polizei oder anonym. Die Tendenz ist steigend (2016: 1416 Mitteilungen; 2014: 1387), was Indiz für eine wachsende Sensibilität in der Bevölkerung ist. Ein Grund könnte freilich auch in der neuen Vereinbarung liegen, nach der die Polizei das Jugendamt über jeden Einsatz in Familien mit häuslicher Gewalt direkt informiert. Siebenkotten-Dalhoff: „Alle Hinweise wurden sorgfältig überprüft, in 265 Fällen wurde ein Hilfebedarf ohne Gefährdung der Kinder festegestellt, in 182 Fällen gab es eine latente Kindeswohlgefährdung, in 75 eine akute.“ Oft akzeptieren Eltern auch eine Inobhutnahme ihres Kindes, weil sie offenbar einsehen, dass es anders nicht geht. Dementsprechend kam es 2017 „nur“ 27 Mal dazu, dass das Familiengericht Eltern das Sorgerecht komplett entzog (2016: 32).

Prinzipiell haben Jugendämter eine besondere Verpflichtung und eben auch die Möglichkeiten, Eltern bei der Versorgung und Erziehung ihrer Kinder zu unterstützen — wenn Gefahr im Verzug ist, aber auch einzuschreiten. Allerdings ist der Kindesentzug dabei immer nur die Ultima Ratio, heißt: Wenn es irgendwie geht, sollen Kinder in ihrer Familie bleiben, stellt Siebenkotten-Dalhoff klar: „Denn sie haben auch ein Recht auf Eltern — und die Hilfen sollen das ermöglichen.“ Insofern würden Gefährdungssituationen immer mit den Eltern erörtert und Hilfen aufgezeigt. Nur wenn Eltern selbst nichts zur Verbesserung der Lage beitragen können, wird eine (manchmal nur vorübergehende) Unterbringung im Kinderhilfezentrum an der Eulerstraße oder einer Bereitschaftspflegefamilie notwendig. Doch das Gesetz zur Kooperation im Kinderschutz (KKG) verpflichtet ausdrücklich auch Lehrer, Kinderärzte oder Sozialarbeiter dazu, sich selbst mit Fachkräften zu beraten, wie sie die Eltern gewinnen können, Hilfe anzunehmen; oder wie sie selbst eine positive Veränderung erreichen können. Einfach das Jugendamt anrufen, das reicht nicht.

Die Bandbreite der traurigen Szenarien in Düsseldorf, die in einem Kindesentzug gipfeln, reicht vom verwahrlosten Säugling, der in einer „Messi-Wohnung“ aufwächst, über Kinder von psychisch kranken Eltern, die deren Rolle übernehmen müssen und darüber selbst erkranken, bis zu Jugendlichen, die massiven Gewaltausbrüchen ausgesetzt sind oder in der Familie sexuell missbraucht werden.