Interview Voller Stolz auf seine internationalen Schüler
Zehn Jahre lang leitete Wolfgang Mesenholl das Luisen-Gymnasium. Vor seiner offiziellen Verabschiedung heute sprachen wir mit ihm.
Düsseldorf. Mit einer Feierstunde in der Aula des innerstädtischen Luisen-Gymnasiums wird heute Wolfgang Mesenholl verabschiedet. Zehn Jahre lang leitete der 63-Jährige die Schule, die heute 670 Schüler aus 47 Nationen zählt. Morgen wird er zum letzten Mal Abiturzeugnisse übergeben, Sonntag den Abiball besuchen. Bis Ende Juli sind noch dienstliche Beurteilungen zu schreiben. Die Übergabe an Gabriele Patten, stellvertretende Schulleiterin, die das Luisen-Gymnasium nun kommissarisch leiten wird, erfolgt ebenfalls in diesen Tagen. Die WZ sprach mit ihm über seine Zeit am Luisen, G8 und G9, Schüler und Schulpolitik.
Herr Mesenholl, wann haben Sie den Entschluss gefasst, früher in Ruhestand zu gehen?
Wolfgang Mesenholl: Den Entschluss habe ich schon lange gefasst. Die ersten Jahre als Schulleiter hier haben viel Kraft gekostet. Jetzt läuft es so, wie ich es mir immer vorgestellt habe. Wir haben ein sehr gut funktionierendes Team, in dem sich jeder verantwortlich für das Gesamte fühlt. Wir haben keinen Unterrichtsausfall. Ich denke, ich habe die Schule aus dem Dornröschenschlaf geweckt.
Worauf freuen Sie sich im Ruhestand?
Mesenholl: Meine Frau ist zwar noch berufstätig, aber wir müssen nun nicht mehr in den Schulferien in Urlaub fahren. Ich freue mich darauf, im Garten zu arbeiten. Zudem möchte ich mich stärker im Ehrenamt engagieren.
In welchem Bereich?
Mesenholl: Meine Frau und ich betreuen zwei unbegleitete Flüchtlinge aus Somalia, eine junge 17-jährige Frau und einen 19-jährigen jungen Mann. Die beiden kommen auch zu meiner Verabschiedung heute.
Welchen Status haben die beiden?
Mesenholl: Die junge Frau hat im Juli ihren Anhörungstermin. Der junge Mann sollte abgeschoben werden. Nach einem Prozess hier beim Verwaltungsgericht, ist sein Aufenthalt nun ein Jahr gesichert. Den Prozess haben Schülern aus einem Sowikurs besucht, in dem die Flüchtlingsproblematik behandelt wurde. Die Schüler waren sehr interessiert und haben den Somalier auch als Zeitzeugen kennengelernt. Auch Verwaltungsgerichtspräsident Andreas Heusch war an dieser Öffentlichkeit sehr interessiert.
Seit April 2016 hat das Luisen-Gymnasium auch eine Seiteneinsteigerklasse mit jungen Flüchtlingen. Wie sind Ihre Erfahrungen?
Mesenholl: Um sie hier in Deutschland willkommen zu heißen, haben wir für sie, so wie es am Luisen-Gymnasium üblich ist, ein Fest ausgerichtet. Inhaltlich lag der Schwerpunkt zunächst in der Förderung der deutschen Sprache. Neben dem Deutschunterricht durch Lehrkräfte konnten wir aber auch auf die Unterstützung mehrerer Ehrenamtler aus der Schulgemeinde zurückgreifen, die den Jugendlichen, zumeist Syrer zwischen 15 und 19 Jahren, helfen. Eine Schülerin hat es schon in die Oberstufe geschafft.
Wie klappt es mit der Integration der Flüchtlinge?
Mesenholl: Bei den Kindern, die in untere Klassen gehen, ist das einfach. Bei den Älteren ist das etwas schwieriger, weil sie sich selbst sehr stark unter Druck setzen, um so schnell wie irgend möglich einen Abschluss zu erlangen. Darüber hinaus sind sie meist älter als die Mitschüler, sie kommen aus einem anderen Kulturkreis und sie sind sehr stark in ihren Familienverband eingebunden.
Das Luisen-Gymnasium ist Unesco-Projektschule und hat schon immer einen hohen Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund.
Mesenholl: Ja, es sind gut 60 Prozent, in fast jeder unserer Klassen haben wir Schüler aus mindestens zehn Nationen. Das prägt unsere Schüler in besonderem Maße: Sie sind tolerant, leistungsfähig und leistungsbereit.
Woran machen Sie das fest?
Mesenholl: Ein Drittel der Kinder, die wir aufnehmen, hat nur eine bedingte gymnasiale Eignung. Das ist mehr als an anderen Gymnasien. Aber am Ende erreichen unsere Schüler einen Abinotenschnitt im Landesdurchschnitt oder sogar darüber.
Sie sagen, früher war das Luisen-Gymnasium die „Ausländerschule“, heute ist es die „internationale Schule“. Wie profitieren Ihre Schüler davon?
Mesenholl: Unsere Schüler erleben Internationalität, sie haben keine Vorurteile und keine Hemmungen. Sie kommen überall auf der Welt zurecht.Für sie ist klar, dass Hautfarbe und Religion keine Kriterien sind, um über Menschen zu urteilen.
Trotz des klaren Profils: Die Schule hat häufig mit die schlechtesten Anmeldezahlen. Woran liegt das?
Mesenholl: Wir haben uns deutlich gesteigert. Von 44 als ich anfing auf Mitte 70 Schüler. Aber es gibt natürlich Gründe: So wohnen hier in der Innenstadt nicht so viele Familien.
Weitere Gründe?
Mesenholl: Die Baustellen haben viele abgeschreckt. Erst die Sanierung des Verwaltungsgerichtes, dann der jahrelange U-Bahnbau, nun das Carlsquartier. Es ist aber seit Inbetriebnahme der U-Bahn sehr viel ruhiger geworden.
Nun ist das Schulgebäude auch nicht das modernste?
Mesenholl: Nein, hier muss ich an den Träger, die Stadt, appellieren. Zuletzt ist zwar schon vieles besser geworden, aber jahrelang ist nichts passiert. Zwar hat die Stadt uns mal Farbe spendiert und Brandschutztüren erneuert. Doch die Klassenräume haben wir selbst gestrichen, Eltern und Förderverein haben das toll unterstützt und finanziert. Als ich hier anfing, war alles tristgrau und schweinchenrosa. Jetzt sieht es einladender aus. Aber natürlich müssen die Räume der Naturwissenschaften besser ausgestattet werden. Ich kenne viele Schulen in Wuppertal, da ist der Sanierungsstau nicht so groß wie hier.
Und die kleine Turnhalle kommt bei vielen Kindern und Eltern bei der Schulauswahl auch nicht so gut an.
Mesenholl: Ja, das stimmt. Aber wir fahren zum Sportunterricht in den Arena-Park. Da verliert man zwar Zeit. Was aber gar nicht ging, war die fast halbjährige Sperrung der Arena-Halle in der Vorbereitung des Eurovision Song Contests. Da sollten wir uns selber Ersatzorte suchen. Und wenn ein Rentnertrupp vor unseren Schülern einen der Sportplätze belegt, kommen die Schüler nicht mehr drauf. Ein Unding in der Sportstadt Düsseldorf.
Kommen wir noch zu einem anderen Thema. G8, G9 — Sie haben beides erlebt. Wie ist Ihre Haltung?
Mesenholl: Von mir aus hätte man nie auf G8 umstellen müssen. Das war eine politische Entscheidung. Das Hü und Hott wird auf dem Rücken der Kinder und Lehrer ausgetragen. Die Rückkehr zu G9 ist auch nicht unbedingt nötig.
Und wie soll es nun weitergehen?
Mesenholl: Wichtig ist, dass alle Schulen auf G9 umstellen. Für mich wäre es wichtig, wenn das bundesweit geschieht. Denn viele Familien müssen heute mobil sein, müssen beruflich von einem Bundesland in ein anderes umziehen. Wir müssen einen gemeinsamen Standard etablieren. Die aktuelle uneinheitliche Regelung kostet Zeit, Energie und viel Geld. Das ist unverantwortlich.
Was kritisieren Sie noch am heutigen Schulsystem?
Mesenholl: Unser System ist entgegen der häufigen Behauptung sehr wohl durchlässig. Das Hin- und Hergeschiebe zwischen den Schulformen ist nicht gut. Ich habe selber 19 Jahre an Gesamtschulen gearbeitet, da muss man die Schüler mehr an die Hand nehmen, sie brauchen viel mehr eine emotionale Unterstützung.
Wie sähe Ihr Konzept aus?
Mesenholl: Ich wünschte mir ein zweigliedriges Schulsystem mit Gymnasien und kleineren Regelschulen. Wir müssen ein gesundes Nebeneinander bekommen, an dem jeder Schüler die für ihn sinnvollste Schulform besucht..
Wie sehen Sie dabei den heutigen Run auf die Gymnasien?
Mesenholl: Der ist falsch. Wer an einer Schule unterfordert ist, der verliert die Lust am Lernen. Wer z.B. auf dem Gymnasium überfordert ist, wird unglücklich. Das wirkt sich auf das Selbstbild aus.
Was werden Sie am meisten vermissen?
Mesenholl: Ich werde auch die schönen Feste vermissen. So denke ich heute noch gerne an die 175-Jahrfeier unser Schule im November 2012 vor 1700 Gästen in der Tonhalle zurück. Wir hatten ein tolles Konzept mit dem Motto „Schule der Persönlichkeiten“, 480 Schüler, Lehrer, Eltern und Ehemalige haben das Programm gestaltet.
Tragisch, dass eine Schülerin, die bei dem Jubiläum eine sehr wichtige Rolle gespielt hat, ein knappes Jahr später in Indien tot aufgefunden wurde.
Mesenholl: Ja, das war sicherlich der schlimmste und schwierigste Moment in meiner Zeit am Luisen-Gymnasium. Wir haben mit der Familie einen Abschiedsgottesdienst in der Neanderkirche gestaltet. Der Zusammenhalt und die Anteilnahme in diesen Tagen im Herbst 2013 war sehr groß.