Düsseldorf Vom grünen Mosaik am alten Rhein
Gut drei Jahre nach der Deichöffnung in der Urdenbacher Kämpe sind viele seltene Arten an den alten Rheinarm zurückgekehrt.
Düsseldorf. Das Brennnesselfeld war kaum überflutet, da baute schon ein Blesshuhn sein Nest auf dem Wasser. Wenig später kamen die ersten Höckerschwäne zurück in die Urdenbacher Kämpe — und zogen bald die ersten Küken groß. Gut drei Jahre ist es mittlerweile her, dass der Deich an zwei Stellen durchbrochen wurde und die aus den 50er Jahren stammenden Fesseln des begradigten alten Rheinarms gesprengt wurden. Seitdem bahnt sich der Bachlauf wieder seinen Weg durch die Auenlandschaft der Kämpe. Immer gen Rhein, eigendynamisch und frei.
Das Leben am Altrhein ist seitdem geradezu explodiert. „Viele ursprünglich hier beheimatete Arten sind zurückgekehrt, viele andere haben sich stark vermehrt“, sagt Tobias Krause, Geograf und Biologe des Gartenamtes. Blesshühner und Schwäne seien da nur zwei Beispiele von vielen. „Wirklich überraschend war es, wie schnell einige Arten die geänderten Bedingungen angenommen haben“, sagt Krause, dem man die Begeisterung über den Erfolg des Renaturierungs-Projekts deutlich anmerkt. „Es sind Arten zurückgekommen, mit denen wir gar nicht gerechnet hatten.“
Eine solche Art ist der Nachtreiher. Einst in ganz Europa beheimatet, ist die Art hierzulande heute fast ausgestorben; 2009 wurden deutschlandweit gerade einmal 22 Brutpaare vermutet. In der Urdenbacher Kämpe ist der Vogel jetzt wieder heimisch. Ebenso wie der Schwarzmilan: „Wir beobachten seit der Renaturierung jedes Jahr eine Brut“, berichtet Krause. Zurückgekommen sind auch Wasserralle und Zwergtaucher.
Fast noch beeindruckender als die Tierwelt ist die der Pflanzen am alten Rhein. Stefanie Egeling, Mitarbeiterin der Biologischen Station in Haus Bürgel, kartiert derzeit die Botanik in der Aue. Sie hat Erstaunliches festgestellt: „Wir haben Pflanzen gefunden, die seit mehr als 60 Jahren in der ganzen Umgebung nicht mehr gefunden wurden.“ Beispielsweise die Reisquecke, ein unscheinbares grünes Bodengewächs aus der Familie der Süßgräser. „Der nächste Standort dieser Pflanze ist in Wuppertal“, sagt Egeling.
Ausgeschlossen sei, dass die Samen von Vögeln an den alten Rhein gelangt sind, dazu sei die Entfernung zu groß. „Das hat uns schon verwirrt“, sagt die Biologin. Nachforschungen hätten aber ergeben, dass die Urdenbacher Kämpe in den 50er Jahren, also bevor der Rheinarm in ein begradigtes Bett gezwängt wurde, ein bekannter Fundpunkt der Art gewesen ist. „Die Samen müssen seitdem im Boden geschlummert haben und sind zu neuem Leben erwacht, als sie in Berührung mit Wasser gekommen sind.“ Gleiches gilt wohl für den Nickenden Zweizahn, eine gelb blühende kleine Pflanze, die einer Sonnenblume im Miniaturformat ähnelt.
Den Erfolg des ganzen Projekts mache erst die Vielfalt der verschiedenen Gewässertypen aus, sagt Egeling. Denn neben dem langsam fließenden alten Rheinarm haben sich kleinere und größere Tümpel und Teiche gebildet, in denen das Wasser zum Stehen kommt. Somit gibt es auch Lebensräume für klassische Wasser- und Feuchtpflanzen, die keine Strömung vertragen — beispielsweise spezielle Arten von Wasserlinsen, die wiederum die Schwäne anziehen. Arten wie der Wasserstern schätzen hingegen das Fließgewässer. „So ergibt sich ein Mosaik aus vielen verschiedenen Lebensräumen“, sagt Stefanie Egeling. „Viele wasserliebende Arten sind genau deswegen zurückgekehrt.“ Entstanden ist mit der Zeit ein so genanntes Niederungsfließgewässer — ein Gewässertyp, der in NRW bislang nicht mehr existiert hat. „Vergleichbare Habitate sind mir nur aus Ungarn bekannt“, sagt Biologe Tobias Krause.
Während einige Arten im Lauf der Zeit verschwunden sind, waren andere nie weg, ihre Population war nur geschrumpft. Jetzt erholen sich viele Bestände wieder: „Regelrecht explodiert ist beispielsweise die Zahl der Frösche“, sagt Krause. Waren es vor der Deichöffnung einige hundert, spricht er jetzt von einigen tausend. Stark vermehrt haben sich auch nahezu alle Arten an Insekten, Köcherfliegen und Egeln, außerdem Fischarten wie der Steinbeißer.
Wie sich die Auenlandschaft in Zukunft verändern wird, steht noch in den Sternen. „Es wird auf keinen Fall so bleiben, wie es aktuell ist“, meint Elke Löpke, Leiterin der Biologischen Station. „Die Kämpe ist im stetigen Wandel. Der Bach wird sich neue Wege suchen, einzelne Arme und Tümpel werden wieder austrocknen, dafür neue entstehen.“
Derweil sorgen die überfluteten Wiesen auch dafür, dass einige Bäume absterben. „Vor allem Pappeln und Birken bekommt es nicht, wenn ihre Wurzeln zu lange unter Wasser stehen“, sagt Löpke. Dafür stünden aber Sal- und Korbweiden sowie das Schilf schon in der Warteschlange: „Keine Lücke bleibt in der Aue lange unbesetzt.“