Deportation Von Düsseldorf aus in den sicheren Tod

Vor 75 Jahren wurden 1003 Menschen aus dem Rheinland nach Sobibór in Polen deportiert — darunter die Düsseldorferin Selma Pardis.

Foto: Joachim Schröder/HSD

Düsseldorf. Eigentlich hätte Selma Pardis schon am 22. April 1942 deportiert werden sollen. Doch anders als gefordert, hielt sie sich nicht in ihrer Wohnung bereit, um abgeholt und deportiert zu werden. „Über den Transport hatte ich mir auch schon so viel Gedanken gemacht, dass ich schließlich die Nerven verlor“, sagte sie laut Verhörprotokoll der Gestapo am 21. Mai 1942, das die Düsseldorfer Mahn- und Gedenkstätte in ihrer Kleinen Schriftenreihe veröffentlicht hat. Sie habe sich zuerst das Leben nehmen wollen, dann aber die Stadt verlassen.

Doch auch das half nicht. Nachdem sie etwa zwei Wochen nach dem Transporttermin zurück nach Düsseldorf gekommen war und sich bei der jüdischen Gemeinde gemeldet hatte, wurde ein neuer Termin für ihre Deportation vorgesehen: Der 15. Juni 1942. An diesem Tag wurde sie mit etwas mehr als 1000 weiteren Menschen aus dem Rheinland und Ruhrgebiet verschleppt und wenige Tage später im Vernichtungslager Sobibór ermordet.

Dass Menschen wie Selma Pardis ihre Deportation versäumten oder fern blieben, sei nicht häufig gewesen, sagt der Düsseldorfer Historiker Joachim Schröder. „Die Leute wussten nicht, was sie erwartet.“ Auch wenn — durch Fronturlauber und geschmuggelte Briefe — sich bereits herumgesprochen hatte, dass eine Deportation nichts Gutes bedeutet, hätten viele wohl noch Hoffnung gehabt, überleben zu können. Auch die Konsequenzen des Fernbleibens hätten viele nicht einschätzen können. „Der Gedanke war wahrscheinlich: Wenn ich mich wohl verhalte, habe ich eine bessere Chance zu überleben.“

Glaubt man dem Gestapo-Protokoll, sagte Selma Pardis dort, sie habe nicht versucht, vor dem Transport zu flüchten. Sie erklärt, „dass ich tatsächlich nicht gewusst habe, was ich mache und ich auch tatsächlich die Absicht hatte, mich im Rhein zu ertrinken. Nachdem ich das aber nicht sofort gemacht habe, hatte ich später nicht mehr den Mut dazu.“ Stattdessen fuhr sie erst nach Köln und hielt sich dort eine Weile am Hauptbahnhof auf. Weil sie wohl laut geweint hat, sprach sie ein Mann an und fragte, was los sei. Sie erklärte ihm ihre Situation. „...Dass ich Jüdin sei und aus Düsseldorf komme. Dort sei ich zu einem Transport nach dem Osten bestimmt und müsse in den nächsten Tagen fort.“ Der Mann habe sie gefragt, ob sie sich eine Fahrt nach München leisten könne. Da sie genug Geld dabei hatte, fuhr sie mit ihm in seine Münchner Wohnung und verbrachte dort etwa zwölf Tage, ehe sie nach Düsseldorf zurückkehrte.

Der Zug, in dem sie schließlich deportiert wurde, begann seine Fahrt in Koblenz, wo etwa 450 jüdische Menschen einstiegen. Beim Halt in Aachen kamen etwa 140 dazu, in Köln noch einmal 300, bis der Zug in Düsseldorf stoppte, um dort etwa 150 Menschen aufzunehmen. Eigentlich war als Ziel in den Akten Izbica angegeben. Stattdessen wurde der Transport in Lublin gestoppt — dort wurde das Gepäck abgeladen und wenige Personen ausgewählt — vermutlich kräftige Männer, die zu Zwangsarbeit verpflichtet wurden. Dann setzte der Zug seine Fahrt nach Sobibór fort.

Dort lief die Ankunft meist gleich ab. „Die Menschen wurden mit Gewalt aus dem Zug getrieben, auf einer Rampe wurden sie nach Männern und Frauen getrennt“, sagt Schröder. In Umkleiden mussten sie sich ausziehen und wurden dann durch einen langen Gang gehetzt. So außer Atem sei sichergestellt gewesen, dass sie das Gas in den Kammern schneller einatmen. Wenige Stunden später seien alle tot gewesen. „Die Menschen, die nach Sobibór kamen, wurden ausnahmslos ermordet“, sagt Schröder.

Mit einer Gruppe von Studierenden der Hochschule in Kooperation mit der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache in Dortmund und dem Bildungswerk Stanislaw Hantz fuhr er im Mai an verschiedene Orte in Ostpolen. Dort verlegten sie einen Gedenkstein für Selma Pardis und die weiteren Verschleppten des Transports am 15. Juni 1942.