Porträt In dieser Schule sollen die Kinder das Sagen haben

Düsseldorf · Monika Brosch war 30 Jahre lang Lehrerin und Konrektorin an der Realschule in Golzheim. Nun wird die 67-Jährige Leiterin der Demokratischen Schule, die 2020 endlich an den Start gehen soll. Dort bestimmen die Schüler, was und wie sie lernen wollen.

Monika Brosch war 30 Jahre lang Lehrerin und Konrektorin an der Realschule Golzheim und will nun die Demokratische Schule Düsseldorf leiten.

Foto: Ines Arnold

Das Fräulein Hallauer war ein toller Anblick. Hübsch zurechtgemacht und immer umgeben von einem Nebel, der nach 4711 duftete. Monika Brosch saß an ihrem allerersten Schultag in der dritten Reihe vor ihrem Pult und betrachtete ihre zukünftige Lehrerin eingehend. Da vorne wollte sie selbst eines Tages stehen.

Das ist rund 60 Jahre her. Heute blickt Monika Brosch auf mehr als 30 Jahre als Lehrerin und Konrektorin zurück. Mit Freude, aber auch vielen Verbesserungsvorschlägen im Hinterkopf. Nach ihrer Pensionierung möchte sie nun die Demokratische Schule Düsseldorf, eine alternative Schulform ohne Klasseneinteilung, Stundenplan, Unterrichtsfächer, Schulgong und Noten, mit aufbauen. Sie soll die Rolle der Schulleitung übernehmen, wobei dieser Begriff so gar nicht zu dem Konzept der „Ersatzschule eigener Art“ passt. „Alle, die an dieser Schule beteiligt sind, die Schüler und die Erwachsenen, gestalten diese Schule gemeinsam“, betont Monika Brosch. Im Genehmigungsprozess, um die Schule an den Start zu bringen, sei die Benennung einer offiziellen Schulleitung aber erforderlich gewesen.

Schüler und Lehrer haben das gleiche Stimmrecht

Ihre eigene Schulzeit erlebte Monika Brosch als frustrierend. „Ich musste Dinge lernen, bei denen ich nicht verstand, warum ich sie lerne“, sagt sie. Nur durch den Druck ihrer Eltern kam sie ohne Ehrenrunde bis zum Abitur. Ihren Wunsch, Lehrerin zu werden, beeinflusste das aber nicht. „Ich habe mir oft gedacht, dass ich es später einmal besser machen werde.“ Denn nicht nur die festen Vorgaben des Lehrplans, sondern auch die rigide Art der Lehrer, den Stoff zu vermitteln, trugen dazu bei, dass Monika Brosch die Schulzeit als „großes Leid“ empfand. „Es ging um Leistung. Nicht um die Person“, sagt sie.

Nach ihrem Abschluss besuchte sie die pädagogische Hochschule, um Lehrerin zu werden. Als Referendarin zeigte sie sich weich und mitfühlend. Sie ging auf jedes Kind ein. Und hielt sich nicht stringent genug an den Lehrplan - zumindest in den Augen ihrer Ausbilder. Die hatten wenig Verständnis dafür, dass die junge Frau viel Wert auf einen vertrauensvollen Umgang mit den Schülern, Zeit und Zuwendung legte, ihnen Freiräume gab und das Unterrichtsgeschehen nicht klassisch im Frontalunterricht dominierte.

Monika Brosch ließ sich dennoch nicht von ihrem Weg abbringen, machte ihr zweites Staatsexamen. Sie ließ die Schüler mitentscheiden, wie sie den Unterricht gestalten wollen - in Zweierteams, in Kleingruppen oder eben mit Frontalunterricht. Ihr Spielraum als Realschullehrerin war eingeschränkt. „Es gab Vergleichsarbeiten und Abschlussprüfungen, auf die man hinarbeitete“, erzählt sie.

15 Jahre lang war Monika Brosch Lehrerin an der Realschule Golzheim, im Anschluss 15 Jahre Konrektorin. 2014 ging sie in den Ruhestand. Dass sie sich nun der neuen Aufgabe an der Demokratischen Schule widmet, sei für sie kein Grund, mit der Regelschulform abzurechnen. „Ich will kein Realschul-Bashing machen“, sagt die 67-Jährige. Die Demokratische Schule biete neue Möglichkeiten und Freiheiten. „Dort wird Demokratie gelebt“, sagt sie. Einmal in der Woche gibt es eine Schulversammlung. Jeder Schüler, jeder Erwachsene ist gleichermaßen stimmberechtigt. Der Fünftklässler ebenso wie der Hausmeister, die Köchin oder der Lernbegleiter — wie die ausgebildeten Lehrer an der Schule genannt werden. Die Schulversammlung legt auch die Regeln fest. Und werden die selbst aufgestellten Regeln nicht eingehalten, wird demokratisch darüber entschieden, welche Konsequenzen folgen. „An einer Schule mit 50 Schülern ist das möglich, an einer Regelschule mit mehreren hundert Schülern kann ich es mir nicht vorstellen“, sagt Brosch.

An der Demokratischen Schule bestimmen die Kinder selbst, was und wie sie lernen. Die Gründer und Unterstützer der alternativen Schulform gehen davon aus, dass Kinder sich wegen ihres natürlichen Forscherdrangs die Dinge aneignen, die sie für ihre Entwicklung brauchen. Bionomische Formeln, chemische Gleichungen? Kein „Lernberater“ der Schule wird die Kinder dazu anhalten, diesen Stoff zu pauken. „Das Leben bringt so viele Herausforderungen, an denen man lernt“, sagt Monika Brosch und versucht es an einem Beispiel zu veranschaulichen: Wenn Schüler sich für den Garten eine große Baumschaukel wünschen, dann werden die Erwachsenen sie machen lassen und beratend zur Seite stehen. „Sie werden berechnen müssen, was sie dazu brauchen. Da haben wir die Mathematik. Sie werden herausfinden wollen, wie belastbar das Seil ist – Physik. Und weil die Schaukel an einem Baum befestigt wird, ist die Biologie auch noch mit dabei.“

Der Grundgedanke, dass Kinder eigenmotiviert lernen, wenn sie nur den Sinn dahinter verstehen, schlummerte immer in der Lehrerin und Konrektorin Brosch. Komplett überzeugt vom Konzept der alternativen Schulform wurde sie aber, als sie eines Tages eine junge Frau kennenlernte, die zehn Jahre eine freie Schule besucht hatte. „Sie hat drei Fremdsprachen aus eigener Initiative gelernt und später auf einer Regelschule ihr Abi gemacht“, erzählt Brosch. Die junge Frau habe auf der Regelschule entsetzt feststellen müssen, wie unmotiviert und widerwillig die Schüler zum Unterricht erschienen und wie unfähig sie waren, im Team zu arbeiten.

An der Demokratischen Schule in Düsseldorf werden die Schüler auch auf externe Abschlüsse vorbereitet — wenn sie denn wollen. Mentorengespräche mit Kindern und Eltern finden regelmäßig statt. „So dass Kinder, wenn sie 13 oder 14 Jahre alt sind, wissen, welchen Schulabschluss sie machen wollen, um ihren Berufswunsch anzustreben“, sagt Brosch.

Als sie vor zwei Jahren von einem Bekannten aus dem Gründungsteam der Demokratischen Schule angesprochen wurde, war für sie schnell klar, dass sie das Unternehmen unterstützen will. Im April 2018 reichte die Initiative den Genehmigungsantrag ein. Seitdem warten alle auf eine Zusage. Gleichzeitig hat sich eine neue Baustelle aufgetan: Das Haus Kolvenbach im Südpark, in dem die Schule entstehen soll, ist erneut von einem Gutachter geschätzt worden. Nun könnte der Kaufpreis von rund 45 000 Euro sich noch einmal verfünffachen. Hinzu kommen Sanierungskosten in Höhe von rund 300 000 Euro plus eine monatliche Erbpacht. Wenn die Schule genehmigt wird, kommt das Land für 87 Prozent der Kosten auf, der Rest wird über freiwillige Elternbeiträge und Spenden finanziert.

Monika Brosch hofft, dass Bezirksregierung und Schulministerium grünes Licht geben und auch das Haus Kolvenbach als schulische Heimat finanziell zu stemmen sein wird. Dann werde die Schule spätestens im Sommer 2020 mit 50 Schülern zwischen sechs und 14 Jahren starten. Die Plätze sind bereits belegt, die Wartelisten voll. „Wir sind keine Besserwisser“, betont die 67-Jährige. Keine Revolutionäre. „Wir wollen einfach eine Alternative in der Schullandschaft bieten.“