„Wir sind Kraftfahrer mit Fotokenntnissen“
40 Jahre Fotograf in der Lokalredaktion: Jürgen Retzlaff über seinen Beruf, Foto-Apparate, Handys, die Termin-Kladde und die Entwicklung seiner Heimatstadt.
Jürgen Retzlaff freut sich, wenn er einige seiner alten Zeitungsfotos jetzt wiedersieht, natürlich. Aber die große Aufmerksamkeit durch die Ausstellung im Stadtarchiv ist ihm doch ein bisschen unangenehm. „Viel fällt mir zu meinem Werk gar nicht ein“, sagt er als erstes, als er „nach sicher 20 Jahren“ gestern zu Besuch in die WZ-Redaktion an der Kö kommt. Fotokünstler? „Iwo“, sagt Retzlaff, „ein Kollege hat unseren Beruf mal so beschrieben: Wir sind Kraftfahrer mit Fotokenntnissen. Und da hatte er recht.“ Was er meint, ist, dass er als Pressefotograf die allermeiste Zeit im Auto verbracht hat, wenn er von einem Termin zum nächsten für diese Zeitung gefahren ist.
Jürgen Retzlaff, 1931 in Düsseldorf geboren, wuchs an der Kaiserstraße auf, verließ die Stadt nach nur drei Jahren mit seinen Eltern (der Vater Erich war ein renommierter Fotograf) gen Dießen am Ammersee und kehrte — nach Stationen in Berlin, wo er im Krieg noch Bombenangriffe erlebte, und im Schwarzwald — 1950 nach Düsseldorf zurück. „Ich wollte eigentlich lieber Förster werden, doch das klappte leider nicht.“ Er machte eine Lehre als Reproduktionsfotograf im Schwann-Verlag und begann parallel für die Düsseldorfer Nachrichten Fotos zu schießen, 1955 wurde er vom Girardet-Verlag fest angestellt. Erster Termin: Ein Pferderennen auf dem Grafenberg. „Es war schwierig mit meiner Rolleiflex, die Pferde in Aktion abzulichten, ich hab dann ein etwas verwischtes Foto gemacht, das in der Redaktion aber zum Glück sehr gut ankam“, erinnert er sich. Bedenkt man, wie schlicht auch die besten Fotoapparate damals ausgestattet waren, wie wenig sie „konnten“, staunt man umso mehr über die Resultate, die ein Jürgen Retzlaff aus ihnen herausholte. Dass heute alle alles pausenlos mit dem Handy abschießen, nun ja, er will da gar nicht groß lästern, sagt nur: „Ich erkenne schon, ob ein richtiger Fotograf ein Bild gemacht hat.“ Andererseits habe die Digitalisierung natürlich große Fortschritte ermöglicht, „man kriegt keine schmutzigen Finger mehr beim Entwickeln oder hat ein elektronisches Archiv“. Ob die Fotos dadurch aber besser geworden sind? „Das ist eine andere Frage.“
Und dass man auch ohne Handy ein rasender (Foto-)Reporter sein konnte, der sogar rechtzeitig dort war, wo es „brannte“, ist heute für die meisten völlig unvorstellbar. Retzlaff fand es herrlich: „Ich stell mir bloß vor, zu wie viel mehr dusseligen Terminen uns die Redakteure dann noch herumgeschickt hätten.“ So war er halt einfach nicht erreichbar. Als man ihm kurz vor der Pensionierung noch ein Mobiltelefon andrehen wollte, winkte er dankend ab: „Das Teil war so groß wie eine Gurke. Ich hab gesagt, dafür habe ich in keiner Tasche mehr Platz.“
In seinen vier Jahrzehnten von 1955 bis 95 hat er alles in Düsseldorf fotografiert: Polizei- und Feuerwehreinsätze, tausende offizielle Termine, Fußball von Fortuna bis Eller 04 auf dem Aschenplatz, Kultur, Feste, Prominente und vor allem: ganz normale Menschen. Um 10, 10.30 Uhr kam er in der Regel in die Redaktion und schaute erstmal in der dicken Terminkladde nach, was an „Pflicht“ anstand. Am meisten Freude an seinem Beruf hatte er immer dann, „wenn ich ohne konkreten Auftrag losgeschickt wurde“, wenn er also eines seiner „Features“ machen konnte. Und siehe da: Manches war früher gar einfacher für Fotografen. So musste Retzlaff zum Beispiel bei seinen herrlichen Kinderszenen nie jemanden um eine Fotoerlaubnis fragen, „ich hab’ nur drauf geachtet, dass die Kinder mich möglichst nicht sehen, weil sie sonst Grimassen schneiden und posieren“.
Seine Zeitung, die WZ, liest der früher leidenschaftliche Tennisspieler und Hundefreund bis heute gerne, „ich bedaure nur, dass sie das kleinere Format nicht mehr hat“. Insofern verfolgt er intensiv die Zeitläufte in Düsseldorf. Nicht jede Entwicklung gefällt ihm, den Tausendfüßler zum Beispiel hätte „man gründlich reinigen müssen, aber doch nicht abreißen dürfen“. Die Libeskind-Bauten am Kö-Bogen findet er gar „hässlich, sie passen gar nicht zum filigranen Dreischeibenhaus“. Anderes Neues gefällt ihm, natürlich der Rheinufertunnel und alles was er an der Oberfläche möglich machte, aber auch die Verbindung Kö-Hofgarten mit der Wasserfläche. „Es ist eine sehr schöne Stadt, finde ich.“
Jetzt macht er (fast) keine Fotos mehr, „ich hab’ damit abgeschlossen.“ Seine Spiegelreflex bleibt freilich stets in Reichweite — und mit einem Film geladen.