Stadt-Teilchen Kazuko ist weit weg, aber doch ganz nah

Düsseldorf · Eine japanische Freundin ist gerade in Japan. Ich komm da so schnell nicht hin, aber ich skype zum Japan-Tag.

Skypen mit Kazuko: Statt über 12 000 Kilometer nach Chiba zu laufen, kann man auch einfach telefonieren. Toll, was die Technik inzwischen so alles bietet.

Foto: Hans Hoff

Neulich wollte ich nach langer Zeit endlich mal wieder Kazuko besuchen, eine gute Freundin und eine begnadete Künstlerin. „Der Schmuck der japanischen Designerin Kazuko Nishibayashi überzeugt durch zeitlos klare Formen von skulpturaler, sinnlicher Qualität. Die japanische Handschrift ihrer Entwürfe ist offensichtlich“ hatte die Zeitschrift „Art Aurea“ mal über sie geschrieben, und ich konnte dem nur zustimmen, denn die Leichtigkeit ihrer Entwürfe beeindruckt mich immer wieder. Abgesehen davon ist Kazuko eine sehr gute Köchin, und mir war in Hinblick auf den anstehenden Japan-Tag nach ein bisschen fernöstlicher Feinschmeckerei in vertrauter Runde.Allerdings fand ich Kazuko nicht. In ihrem Atelier in Pempelfort war sie nicht, in ihrer Wohnung auch nicht. Ans Telefon ging sie nicht. Ein Freund verriet mir dann, dass sie gerade in Japan sei, wo sie sich um ihre in die Jahre gekommenen Eltern kümmere. Die leben in der Präfektur Chiba, rund 45 Minuten von Tokio entfernt, also just in jener Stadt, mit der Düsseldorf heute auch offiziell eine Partnerschaft eingeht.

Von Chiba ist Kazuko als 27-Jährige aufgebrochen, weil sie unbedingt das Schmuckhandwerk erlernen wollte, und aus japanischer Sicht war Deutschland damals die erste Adresse. Also kam sie vor 30 Jahren erstmals nach Deutschland und hielt sich mit Jobs in japanischen Restaurants über Wasser. Mitte der 90er Jahre hat sie dann die Jobs geschmissen und sich nur noch ihrer eigentlichen Passion gewidmet. Ein paar schöne Ausstellungen hat sie gestaltet und viel Anerkennung eingeheimst für ihre feinen Stücke, die man auf der Seite www.kaz-ni.de oder in der Galerie Barbara an der Neubrückstraße bestaunen kann. Reich geworden ist sie damit nicht, weil in jedem ihrer Schmuckstücke weitaus mehr Engagement und Leidenschaft steckt als der Preis vermuten lässt.

WZ-Kolumnist

Foto: NN

Ich erwäge kurz, ob ich Kazuko aus Anlass des bevorstehenden Japan-Tages nicht einfach in der neuen Partnerstadt besuchen soll. Ich gebe Düsseldorf und Chiba in meinen Routenplaner ein, und das Ergebnis besteht aus zwei Alternativen. Ich kann elf oder zwölf Stunden mit dem Flugzeug unterwegs sein oder 2455 Stunden zu Fuß. Schlappe 12 611 Kilometer sind zu bewältigen. Mit den Anweisungen „Auf Liefergasse nach Norden Richtung Altestadt“ und „Rechts abbiegen auf Ratinger Str“ geht es los, dann führt der Weg immer nach Osten durch Polen und Russland am Baikalsee vorbei. Ab Chabarowsk müsste man die Fähre nehmen rüber auf die japanischen Inseln und dann runterlaufen bis Chiba.

Ich finde das ein bisschen viel Aufwand. Stattdessen besorge ich mir noch einmal Kazukos Mailadresse, die mein Computer vor einem halben Jahr verschuselt hat und verabrede eine Skype-Verbindung. Morgens um neun Uhr Bilker Zeit lasse ich ihr Videotelefon läuten, und auf einmal steht die Verbindung von Düsseldorf nach Chiba. Einfach so. Ich bin als Mensch, der als Kind noch miterlebt hat, wie man zum Telefonieren stets zu den etwas besser gestellten Nachbarn musste, immer noch fasziniert von dem, was die moderne Kommunikationstechnik zustande bringt. Statt 12 611 Kilometer zu laufen, drücke ich einfach nur einen Knopf – und bin in Japan.

Kazuko zeigt mir mit ihrer Kamera den Himmel über Chiba. Er ist leicht bewölkt, aber sie erzählt, dass es gerade 26 Grad warm ist. Bei ihr ist es Nachmittag, und sie überlegt gerade, ob sie noch eine kleine Radtour unternimmt zu den nahegelegenen Reisfeldern. Es sei gerade TAUE, sagt sie, die Reispflanzzeit. Wenn die Halme der Reispflanzen aus dem Wasser hervorschauen, dann sei das ein besonders schönes Bild, berichtet sie. Das werde vielerorts gefeiert. Man komme aus dem Jubeln quasi gar nicht mehr heraus, weil Anfang Mai ja noch die Inthronisierung des neuen Kaisers ein Festanlass gewesen sei.

Ich frage Kazuko, ob sie Düsseldorf nicht vermisse. Seit Februar ist sie schon in Japan. Bei ihr ist zurzeit jeder Tag ein Japan-Tag. „Am Rhein sitzen und Schiffe anschauen“, sagt sie spontan, und natürlich würde sie auch gerne wieder mit Freunden Ausflüge machen und in die rheinische Kulturszene eintauchen. Düsseldorf habe so viel zu bieten, und alles sei so leicht und schnell zu erreichen. In Chiba sei dagegen weit weniger los. Wer dort wirkliche kulturelle Vielfalt wolle, müsse schon nach Tokio fahren.

An Düsseldorf mag sie die Offenheit der Menschen, in Chiba schätzt sie sehr, wie höflich und respektvoll man miteinander umgeht. Wenn man in Düsseldorf jemanden besser kennenlernen möchte, dann gehe das am besten, wenn man gemeinsam etwas kocht, wenn man beim Essen redet, wenn man zusammen Spaß hat.

Ich bekomme langsam Hunger, aber wir reden noch weiter über Kazukos Schmuck, über den Einfluss, den die Origami-Technik auf ihre Werke hat, wie nah sie sich dem Minimalismus und sinnlich reduzierten Formen sieht. Dann erzählt sie, dass sie am 7. Juni wieder heimkommt nach Düsseldorf, dass ihre Japan-Tage also gezählt sind. Wie schön.

Wir plaudern noch über dies und das, und als wir nach einer halben Stunde beide auf den Knopf drücken, um das Skype-Gespräch zu beenden, bleibe ich noch eine Weile stumm vor dem Bildschirm zurück. Ich muss mir das noch einmal durch den Kopf gehen lassen, weil es für mein kleines Bilker Hirn so schwer zu fassen ist. Ich war gerade in Japan, in Chiba, 12 611 Kilometer weg. Und jetzt bin ich wieder in Düsseldorf, einfach so.

Wenn Kazuko wieder da ist, wollen wir uns treffen und gemeinsam etwas kochen. Mit Freunden den Abend wegplauschen, auf die neue Städtepartnerschaft anstoßen, japanische und deutsche Gedanken so lange mixen, bis keiner mehr weiß, was was ist.

Bis in den Abend hinein beschäftigt mich dieses Thema. Als ich in Bilk das erste Bier schlürfe, wird mir klar, dass Kazuko schon längst im Bett liegt, weil in ihrem Land bald schon wieder die Sonne aufgeht. Ich proste mit meinem Bier gen Osten und sage „Schlaf gut, Kazuko“. Das war ein schöner Japan-Tag.