Düsseldorf. Es ist ein Fall, der widerwärtiger kaum sein könnte: Ein zwölfjähriges Mädchen stürmt am Samstagmorgen alkoholisiert und vollkommen verstört in ein Geschäft in Oberbilk und bittet um Hilfe. Sie sei vergewaltigt worden. Wenig später nimmt die Polizei zwei Männer (21 und 26 Jahre) fest.
Laut Staatsanwaltschaft wurde gegen den älteren der beiden Männer inzwischen ein Haftbefehl wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes erlassen - schließlich ist das Mädchen nicht nur minderjährig, sondern stand zudem unter dem Einfluss von Alkohol. Gegen den 21-Jährigen konnte der Verdacht nicht erhärtet werden, er ist wieder auf freiem Fuß.
Erschreckend ist aber nicht nur die Tat an sich, sondern auch das Schlaglicht, das sie auf das Leben des Mädchens wirft. Auf ein junges Leben, das offenbar schon seit einiger Zeit am Rande des Abgrunds stattfindet. Das Jugendamt beschäftigt sich seit längerem mit der Zwölfjährigen, hatte sie bereits in Obhut genommen. Doch aus dem Kinderhilfezentrum Eulerstraße lief sie immer wieder davon, zig Vermisstenanzeigen wurden erstattet, nicht nur einmal wurde das Mädchen alkoholisiert aufgegriffen.
"Sie ist nicht zu halten, ständig auf der Flucht. Und sie bringt sich immer wieder in gefährliche Situationen", sagt Peter Lukasczyk vom Jugendamt. Das Mädchen fühlte sich angezogen von der Alkoholiker- und Prostituiertenszene - ob sie selbst bereits auf den Strich ging, sei unbekannt. "Eine Perspektive fehlt ihr leider schon sehr früh im Leben", sagt Lukasczyk.
Jessika Kuehn-Velten von der Kinderschutzambulanz des Evangelischen Krankenhauses kennt zahlreiche ähnliche Fälle. "Solche Verhaltensweisen sind oft ein Signal, das die Kinder geben", sagt sie. Dabei sei der direkte Rückschluss auf eine Vernachlässigung durch die Eltern zu kurz gegriffen.
Dass die Betroffenen für sich keinen sicheren Platz in der Welt sehen, könne vielfältige Gründe haben - etwa eine zunehmende Diskrepanz zwischen früher körperlicher und einer verzögerten seelischen Reife. Wegzulaufen und sich zu betrinken, seien heute zunehmend gängige Ausdrucksweisen dieser Kinder, die nicht wissen, wohin sie gehören.
"Wir wollen dieses Kind zur Ruhe bringen", erklärt Lukasczyk die Pläne im aktuellen Fall. Definitiv wolle er die Zwölfjährige aber nicht einsperren: "Wir werden mit ihr zusammenarbeiten." Schließlich solle sie nicht glauben, dass sie für ihr Verhalten bestraft werde. Das wichtigste Ziel: Sie soll endlich einen sicheren Platz zu finden.