Meisterspieler von 1967 Wie die Eltern von Ingo Lingemann fast den ersten Titel der DEG verhinderten

Düsseldorf · Er bescherte der Düsseldorfer EG mit seinem Treffer gegen Mannheim 1967 den ersten Meistertitel der Klubgeschichte. Dabei hätte die Eishockeykarriere von Ingo Lingemann mehrmals verhindert werden können.

Ingo Lingemann (l.) schaut zu, wie DEG-Trainer Hans Rampf (3.v.l.) nach dem Gewinn der Meisterschaft 1967 übers Eis getragen wird.

Foto: Horstmüller/HORSTMÜLLER GmbH

Haben Sie schon einmal was vom sogenannten „Schmetterlingseffekt“ gehört? Vereinfacht ausgedrückt besagt diese Theorie, dass nur eine kleine Ursache (wie etwa der Flügelschlag eines Schmetterlings) eine große Wirkung (in dem Fall auf das Wettergeschehen) hervorrufen kann. Sie fragen sich an dieser Stelle wahrscheinlich zurecht, was das jetzt mit der Düsseldorfer EG zu tun hat?

Für die Antwort darauf müssen wir in der Geschichte bis ans Ende der 1950er-Jahre zurückgehen. In Düsseldorf hat ein 16-jähriger Junge einen großen Wunsch: Er möchte Eishockey spielen. Das Problem: Die Eltern empfinden den Sport als zu hart für ihren Sprössling, ihnen schwebt eher ein musisches Hobby vor. Also schlägt der Junge seinen Eltern einen Deal vor. Wenn er anfängt, Geige und Klavier zu spielen, darf er sich bei der DEG anmelden und dem Puck auf dem Eis nachjagen. Sie willigen ein. Jahrzehnte später erzählt der Junge von damals, mittlerweile 80 Jahre alt, dass er beides genau ein Jahr zusammen gemacht habe. „Dann habe ich die Sache ad acta gelegt und nur noch Eishockey gespielt.“ Sein Name: Ingo Lingemann, Mitglied der ersten DEG-Meistermannschaft von 1967 und Torschütze des entscheidenden Tores beim 3:1-Sieg über den Mannheimer ERC am 12. Februar desselben Jahres.

Und damit schließt sich der Kreis zum Eingangs erwähnten „Schmetterlingseffekt“. Was wäre wohl gewesen, wenn sich Lingemanns Eltern damals nicht auf den Handel mit ihrem Sohn eingelassen hätten? Hätte es den ersten Meistertitel der Vereinsgeschichte trotz Ausnahmespielern und Klublegenden wie Otto Schneitberger und Sepp Reif überhaupt gegeben? Zugegeben, sehr viel Hypothese. Lingemann beschreibt es im Podcast „Legenden unter sich“ so: „Ich fühle mich eigentlich nicht als Legende, da gibt es Bessere als mich. Aber ich war dabei und ich habe von den wenigen Treffern, die ich erzielt habe, auch ein entscheidendes Tor geschossen.“ Wer dem ehemaligen Stürmer in dem mehr als einstündigen Gespräch mit den beiden Moderatoren Claudia Monreal und Oliver Bendt über sein bewegtes Leben lauscht, bekommt schnell eine Idee davon, dass sein starker Wille ihn ohnehin aufs Eis gebracht hätte – Deal hin oder her.

Geboren mitten im Krieg am 13. November 1943 im sächsischen Großenhain, ging es für ihn und seine Familie über Umwege 1952 nach Düsseldorf, genauer gesagt auf die Grunerstraße, lediglich einen Steinwurf vom Eisstadion an der Brehmstraße entfernt. „Da fing es dann an“, sagt Lingemann. Schnell entwickelte der Steppke eine große Leidenschaft fürs Schlittschuhlaufe. Und dass, obwohl die ersten Schlittschuhe, sogenannte Schraubendampfer, nicht gerade bequem waren: „Das waren Eisenkufen, die man unter sogenannte höhere Schuhe aus Leder schrauben musste. Vorne auf der Sohle und hinten in der Absatzsohle wurden kleine Pinne draufgemacht, wo sich die Kufen mit den Rundungen eingezogen haben. Damit konnte man dann Schlittschuh laufen.“

Zweimal, manchmal sogar dreimal am Tag ging er fortan in die Laufzeit. Dort lernte er auch seinen langjährigen Freund und späteren Mitspieler Klaus Breidenbach kennen.

An Eishockey war da allerdings bekanntlich noch nicht zu denken. Das nötige Rüstzeug holte er sich auf der Straße, wo er zusammen mit Freunden gegen andere Kinder aus der Nachbarschaft antrat. Gespielt wurde mit Eishockeyschlägern und Tennisbällen. Zur DEG sollte es erst ein paar Jahre später gehen, und es wurde zunächst ein kurzes Gastspiel. „Weil ich so viel Eishockey gespielt und wenig gute Noten nach Hause gebracht habe, kamen meine Eltern auf die Idee, mich aufs Internat (nach Berlin, Anm.d.Red) zu schicken“, erzählt Lingemann.

1961 war das, allzu lange hielt die erzieherische Maßnahme aber nicht an. In der heutigen Hauptstadt sprach sich nämlich schnell herum, dass im Internat in Dahlem ein talentierter Eishockeyspieler untergebracht sein soll. Der Trainer der ersten Mannschaft des Berliner SC nahm sich der Sache persönlich an und lud Lingemann schließlich zum Training ein. Fehlte nur noch das Einverständnis der Eltern, und das kam überraschend problemlos. Auch weil sie der Annahme waren, dass die Lehrer im Internat schon darauf achten würden, dass ihr Sohn seinen Schulpflichten nachkommt. Auf die Frage von Moderator Bendt, ob er denn auch wirklich seine Hausaufgaben gemacht habe, antwortet Lingemann verschmitzt: „Letztlich nein.“ Seinen Abschluss machte er trotzdem. Auch sonst blieb ihm seine Zeit in Berlin in denkwürdiger Erinnerung: „Ich sollte lernen und weiterkommen. Was ich hauptsächlich da gelernt habe, war prügeln und saufen.“ Es waren eben andere Zeiten.

Lingemann wollte aber ohnehin zurück in die Heimat zu seiner DEG, der 1965 mittlerweile der Aufstieg in die Bundesliga geglückt war. Wirklich darüber freuen konnte sich der Rückkehrer allerdings nicht. Obwohl der Berliner SC den inzwischen 21-Jährigen freigegeben hatte, wurde er vom Deutschen Eishockey-Bund (DEB) für ein Jahr gesperrt, weil er sich zu spät bei seinem alten Klub abgemeldet habe. „Nicht nachvollziehbar, auch heute nicht“, wie Lingemann im Rückblick betont. Also ging es erst 1966 so richtig los. Und wie die Geschichte zeigt, sollte alles genauso geschehen. Nicht auszudenken, wenn eine Kleinigkeit einen „Schmetterlingseffekt“ ausgelöst hätte. Aber auch das ist letztlich nur eine Hypothese. Was bleibt, ist der Titel. Und Lingemann wird auf ewig ein Teil davon sein.