Hilden Voll Hoffnung mit mehr als 100 Jahren

Hilden. · Heinz Glutsch erinnert sich an viele Weihnachtsfeste – im Krieg und der Familie. Von 1968 bis 1971 war er Standortältester und Bataillons-Kommandeur in der Wald-Kaserne, von 1984 bis 1989 stellvertretender Bürgermeister.

Heinz Glutsch erinnert sich noch gut an den Krieg.

Foto: Köhlen, Stephan (teph)

Am 9. November 2020 konnte Heinz Glutsch seinen 101.Geburtstag feiern. Der Mann ist kein Unbekannter in Hilden: Von 1968 bis 1971 war er Standortältester und Bataillons-Kommandeur in der hiesigen Wald-Kaserne. Später von 1984 bis 1989 stellvertretender Bürgermeister der fast schon legendären Ellen Wiederhold und zusätzlich lange Zeit Ratsmitglied der CDU. Von seinen vielen Ehren-Titeln - unter anderem bei den hiesigen Schützen, Musketieren und Feldjägern gar nicht zu reden. Wir plauderten in der Vorweihnachtszeit mit einem Senior, der sich trotz seines hohen Alters bestens erinnern kann. Er lebt - selbständig und liebevoll betreut - in einer Wohnung, die an das Seniorenheim Erika-Weg angeschlossen ist. Der honorige, alte Herr sitzt im Rollstuhl, hat Sehprobleme und hört schwer. Trotzdem hat Kaffee gekocht und freut sich, seine Gedanken und Erlebnisse aus vergangenen Zeiten mit Vorfreude auf Weihnachten 2020 mitzuteilen.

Als er 14 Jahre alt war,
kam Hitler an die Macht

„Ich wurde auf den Tag genau ein Jahr nach Ende des ersten Weltkrieges in Berlin Steglitz geboren. Mein Vater war Beamter. Als ich 14 Jahre alt war, kam Hitler an die Macht. Meine Schulzeit und das Abitur 1939 waren vom nationalsozialistischen Regime geprägt. Vom Weihnachtsfest 1939 weiß ich noch, dass ich da schon Offiziersbewerber war. Zum Arbeitsdienst musste ich als höherer Schüler nicht. Eine Glocke hatte sich über das Land gelegt, viele Menschen hatten Angst. Als es dann mit den Kriegszügen gegen Polen und Frankreich los ging, stand die Bevölkerung, besonders die Älteren, hinter uns Soldaten. Da gab es auch den Gedanken an Vergeltung. Ich musste nach Frankreich und wurde als Infanterist das erste Mal verwundet, weil die sogenannten „Christbäume“ am Himmel erloschen waren und ich im Dunkeln mit meinem Motorrad in einen Trichter gerast bin. Nach dem Lazarett-Aufenthalt habe ich Weihnachten 1940 in einem geheimen, deutschen Wehrmachts-Lager verbracht - bei guter Verpflegung! Es war ein Angriff auf Gibraltar geplant. Wir durften nur einen kontrollierten Brief nach Hause schreiben. Heim-Urlaub gab es erst im Februar 41. Anschließend wurde ich in Rußland eingesetzt und ein zweites Mal verwundet. In Fürstenwalde war ich auf einem Offiziers-Auswahllehrgang und habe anschließend die Kriegsschule in Hannover besucht. Dort lernte ich auch Reiten und habe die Prüfung bestanden. Das Weihnachtsfest verbrachte ich bei meinen Eltern, die Essen auf Marken kauften. Im April 1942 sprach Hitler in einer nicht öffentlichen Versammlung im Berliner Sportpalast zu uns jungen Offizieren: „Auch wenn der Krieg 30 Jahre dauern würde, er würde uns alle vor ein Kriegsgericht stellen und erschießen lassen, wenn wir nicht an den Sieg glauben würden.“ Da lief mir der kalte Schweiß über den Rücken! Und die nationalsozialistische Erziehung war für mich bedeutungslos geworden. Ich erlebte Weihnachten 1942 in Rußland. Auf dem Gefechtsfeld zur Befreiung von Stalingrad. Später kämpfte ich am Mius bis Ende 1943. Nach einer weiteren Verletzung und Verlegung habe ich anschließend Weihnachten mit meinen Soldaten in der Bretagne verbracht. Ich war damals Oberleutnant und Kompanie-Chef von 150 Mann.

Nachdem die Amerikaner gelandet waren, sind wir mit nur noch 50 Soldaten in der Eifel über die Grenze. In Ingendorf bei Bitburg habe ich meine spätere Frau Maria auf einer Kirmes kennen gelernt. Sie hat mich damals zum Zug begleitet und gesagt: „Küssen tue ich Dich nicht. Soldaten kommen vielleicht nicht wieder.“ Ich bin tatsächlich am 17.April 1945 in amerikanische Gefangenschaft geraten. Wir waren in Metz kaserniert, konnten essen was wir wollten. Zu Weihnachten hat sogar ein Pfarrer gepredigt. Mit zwei großen Säcken voller Tabak und Lebensmitteln und einem guten Entlassungs-Zeugnis der Amerikaner bin ich dann im Januar 1947 zu Maria und ihrer Familie zurück. Im Mai haben wir geheiratet. Übrigens gegen den Widerstand meines Vaters. Ich war ja evangelisch, Maria Katholikin. Ich bin ihretwegen konvertiert. Anfang der 50erJahre habe ich zunächst als Vertreter im Lebensmittelgroßhandel gearbeitet. Wir lebten in den Aufbaujahren im Haus der Schwiegereltern. Dort haben wir unsere ersten Familien-Weihnachten gefeiert.

Drei Kinder, eine Tochter (heute 73) und zwei Söhne (50 und 67) gingen aus der Ehe hervor. Nach der Gründung der Bundeswehr wurde ich 1956 Hauptmann. Dann Kompaniechef. 1968 bin ich als Oberstleutnant nach Hilden versetzt worden: Meine Frau ist vor vier Jahren gestorben. Fast hätten wir noch unseren 70. Hochzeitstag zusammen erlebt.“