Bombennacht 1943: Flucht über den heißen Asphalt der Stadt

Im Park des Kaiser-Friedrich-Hains trafen sich Menschen, deren Häuser von Bomben getroffen wurden.

Die Fliegeralarme hatten langsam überhand genommen, und wir verbrachten fast die ganze Nacht im Luftschutzkeller. Zu dieser Zeit wurde wohl ausgemacht, dass ich ins Sudetenland zu meinen Großeltern nach Groß-Olbersdorf fahren und dort zunächst bleiben sollte. Die Koffer waren gepackt. Am nächsten Morgen sollte meine Mutter mich mit der Eisenbahn bis Leipzig bringen, dort sollte Tante Else mich in Empfang nehmen.

Natürlich kam in der Nacht der Luftalarm. Vati rannte wie immer zur sogenannten Sternwarte auf dem Dach des Hauses, kam zurückgerannt und schrie: „Alles stehen und liegen lassen, hinunter in den Keller, die Christbäume stehen über Krefeld.“

Zuletzt brannte auch der Luftschutzkeller, die Flammen kamen immer näher. Die Erwachsenen zerschlugen zuerst den vorsorglich angebrachten Kellerdurchbruch zur einen Seite, aber dort brannte ebenfalls alles lichterloh und man sah einen bis zur Unkenntlichkeit verbrannten Mann.

Dann versuchte man es zur anderen Seite. Dort harrten wir aus, bis wir durch den Durchbruch sahen, dass auch unser Luftschutzkeller lichterloh brannte. Die Männer hatten festgestellt, dass der Jungfernweg verschüttet war.

Also ging es nur hinten zum Hof hinaus auf die parallel verlaufende Felbelstraße. Irgendjemand wusste, wo eine Leiter war, um die etwa fünf Meter hohe Hofmauer zu überwinden, nur war sie ein wenig kurz. Kaum stand die Leiter an der Mauer, drängte sich ein Nachbar nach vorn. Mit den Worten: „In dieser Nacht rette sich, wer kann“ ließ er seine Frau und seinen etwa 15 Jahre alten Sohn einfach stehen und hangelte sich hinauf.

Sein Sohn aber machte alles wieder gut: Er half meinem Vater und uns allen, das letzte Stück der Mauer hochzukommen.

Meine Mutter hatte eine nasse Wolldecke um mich geschlagen, denn nun mussten wir durch die brennende Felbelstraße laufen: Über uns brennende Balken — manche krachten vor oder hinter uns zusammen — der weiche, heiße Asphalt der Straßendecke, in dem unsere Schuhe kleben blieben, meine Füße wurden immer heißer, aber schließlich erreichten wir nach etwa 500 Metern den kleinen Park des Kaiser-Friedrich-Hains.

Zuerst suchten wir den kleinen Teich im Park auf. Meine Mutter hielt meine Füße samt Schuhen in das Wasser, damit sie wieder kühler wurden.

Unser Pflichtjahrmädchen Grete und ich fanden sogar eine Art Wippe. Der Park war voller Menschen, der Himmel feuerrot, um uns herum brannten die Häuser. Dazu kam Wind auf, der Funken durch die Luft blies, aber Grete und ich wippten.

Ein Junge — etwa 15 Jahre alt — hielt fünf Pferde an der Leine. Sie gingen bei jedem Knall mit beiden Hinter- und Vorderläufen hoch. Meine Mutter hatte Angst davor, dass die Pferde durchgehen könnten, und wir zogen woanders hin. Stunden später gab es einen großen Knall: Unsere Wippe war explodiert. Wir hatten auf einem Blindgänger gewippt! Es soll etliche Tote gegeben haben — wir aber hatten wohl eine Art „Schutzengel“.

Gegen Morgen versuchten wir, aus dem Park herauszukommen und uns zu Bekannten in der nahen Goethestraße durchzuschlagen. Mein Vater hatte vorher festgestellt, dass das Haus, in dem sie wohnten, noch stand. Dort bekamen wir Kaffee und Kakao, und man sagte uns, dass der Süden von Krefeld noch stehe, weil in der Nacht der Wind die als Zielmarkierungen am Himmel abgesetzten „Christbäume“ nach Norden abgetrieben hatte.

Also musste auch der im Süden gelegene Hauptbahnhof noch intakt sein. Selbst der Zugbetrieb war nicht beeinträchtigt. Der Zug, mit dem ich ursprünglich nach Leipzig gebracht werden sollte, fuhr pünktlich ab.

Erika Winter, Krefeld