Bundestagsabgeordneter Bernd Scheelen: Abschied aus der Politik
19 Jahre lang saß Bernd Scheelen für die SPD im Bundestag. Aus Altersgründen hört er auf, doch unpolitisch wird er deshalb nicht.
Krefeld. Bernd Scheelen hat Zeit. Und das genießt er an diesem Morgen sichtlich. Am 21. Oktober war für den Krefelder SPD-Abgeordneten nach 19 Jahren Schluss im Bundestag.
Gerade ist er mit seiner Frau aus Madrid zurückgekehrt. „Man muss wissen, wann der richtige Zeitpunkt ist zu gehen“, sagt der 65-Jährige.
Und der ist für ihn dann, wenn man selber noch fit genug für Neues ist und Andere einen beim Abschied schon jetzt vermissen. Im Gespräch zieht er Bilanz.
Jetzt, wo es in Berlin spannend wird, ist Schluss. Wieso das?
Bernd Scheelen: Ich werde im Januar 66 Jahre. Das ist ein gutes Alter aufzuhören. Auch meine Krefelder Ämter habe ich aufgegeben. Nicht, weil ich den Spaß an Politik verloren habe, ganz im Gegenteil. Aber alles hat seine Zeit, und jetzt gibt es noch Leute, die bedauern, dass ich gehe. Das wollte ich nicht überziehen. Meine Frau Monika hat in der Vergangenheit immer alles mitgemacht und mich unterstützt. Wir sind 44 Jahre verheiratet. Sie hat es verdient, dass ich mich nun auch um sie kümmere.
Scheelen: Wir kommen gerade von einer Kurzreise nach Madrid zurück und wollen künftig mehr unterwegs sein. Dafür war in den vergangenen 19 Jahren ja höchstens mal eine Woche im Jahr Zeit. Politik läuft immer, auch in den Sitzungspausen. Ich habe zahlreiche Einladungen in osteuropäische Länder von ehemaligen Hochschulabsolventen, die vom Bundestag ein „Internationales Parlaments-Stipendium“ erhalten und mich als Abgeordneten in Berlin begleitet haben. Die wollen wir vor allem in der Ukraine und Belarus (Weißrussland) besuchen.
Bedauern Sie denn gar nicht, bei den Koalitionsverhandlungen nicht mit dabei zu sein?
Scheelen: Klar, wäre das nett. Ich werde aber auch so noch ständig informiert, was da passiert. Ich habe meine Nachfolge auf Bundesebene geregelt. Namen kann ich noch nicht sagen. Die Wahl ist erst im Januar. Es sind aber gute Leute, die meine Aufgaben und Ziele weiterführen können.
Die da wären?
Scheelen: Die Kommunen zu stärken. Ich war ja von Anfang an, 19 Jahre lang, Mitglied im Finanzausschuss. Der ist für die Kommunalpolitik der wichtigste Ausschuss. Darin geht es vor allem um Steuerfragen. Wenn sich dort etwas verändert, ändert sich in der Folge auch etwas in den Kommunen — zum Guten wie zum Schlechten.
So wie jetzt in Krefeld, wo die Gewerbesteuer wegbricht?
Scheelen: Die Gewerbesteuer boomt in Deutschland, nur in Krefeld bricht sie ein: Das ist hausgemacht. Hier wird falsche Wirtschaftspolitik gemacht. In der Vergangenheit hat die SPD eine Entwicklungsgesellschaft für Krefeld gefordert, in deren Besitz sich alle freien Flächen befinden. Um den Standort weiter zu entwickeln, müsste alles in einer Hand liegen. Investoren haben gerne alles aus einer Hand und kurze Entscheidungswege. In Willich klappt das. Hier nicht.
Wäre die Erhöhung der Gewerbesteuer die Lösung?
Scheelen: Das ist eher eine Notmaßnahme. In der gesamten Diskussion vermisse ich das Wort Einnahmensteigerung. Städte wie Düsseldorf und Neuss boomen. Doch Krefeld hat sich diesen Städten gegenüber abgeschottet. Anstatt dort und auch gemeinsam für Ansiedlungen von Firmen und Neubürgern zu werben, die auf der anderen Rheinseite nicht das Passende finden. Von der 2010 gestarteten Kampagne „Komm doch mal rüber“ hört man ja auch nichts mehr. Man muss in der Politik einen langen Atem haben. Das habe ich in Berlin gelernt.
Einen langen Atem haben Sie auch bei der Verteidigung der Gewerbesteuer bewiesen.
Scheelen: Ja, da hatte ich in Franz Müntefering auch einen starken Unterstützer. Bundeskanzler Gerhard Schröder, Finanzminister Hans Eichel und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement wollten ein wirtschaftsfreundliches Modell und die Gewerbesteuer abschaffen.
Wofür waren Sie?
Scheelen: Ich habe mich für das Kommunalmodell ausgesprochen. Dafür gab es jedoch im Bundesrat keine Mehrheit. Doch immerhin ist damals die Gewerbesteuer erhalten geblieben, wenn auch nicht der Kreis der Steuerpflichtigen um Freiberufler und Selbstständige erweitert worden ist. Die alte Regierung hat in der Steuerpolitik wieder einiges zurückgedreht, was wir jetzt zu spüren bekommen.
Eine Mehrheit konnte die SPD bei der Bundestagswahl nicht erreichen. Woran lag das?
Scheelen: An dem Kandidaten Steinbrück hat das nicht gelegen; vielmehr fehlte in den vergangenen vier Jahren eine Strategie. Die SPD hat in der großen Koalition (2005-2009) alle anstehenden Probleme gelöst, wir haben fast unser gesamtes Programm durchgesetzt bei Themen wie Finanzen, Gesundheit und Arbeitsrecht, doch die CDU erntet dafür die Lorbeeren. Wir haben nicht erzählt, was wir getan haben. Ich vergleiche das mit einem großen Schiff: Die SPD hat im Maschinenraum gearbeitet und für Fahrt gesorgt, während die CDU sich an Deck sonnte.
Was raten Sie den Krefelderinnen Kerstin Radomski (CDU) und Ulle Schauws (Grüne) als Neulingen im Bundestag?
Scheelen: Sich von nichts ins Bockshorn jagen zu lassen. Das Grundgesetz schützt jeden, seine eigene Meinung zu vertreten. Das sollte man nutzen.
Der Redaktion liegt Ihre allererste Rede vom 11. Mai 1995 im Finanzausschuss vor. Haben Sie die allein geschrieben?
Scheelen: Ja, alle. Anfangs habe ich meine Reden noch komplett vorgelesen, doch das ist etwas Furchtbares. Ein Politiker darf sein Publikum nicht langweilen. Er muss den Anderen in die Augen schauen. Deshalb habe ich mir schon kurze Zeit später nur noch Stichworte gemacht und dann frei geredet.
Dabei haben Sie immer wieder große Schlagfertigkeit bewiesen. Haben Sie die trainiert?
Scheelen: Nein, die ist angeboren. Ich war auch nicht immer der bravste Schüler deshalb. Alle meine Reden waren so. Sonst hätte es ja auch keinen Spaß gemacht.
In Ihrer ersten Reden attackieren Sie den damaligen Finanzminister Waigel mit Bibelzitaten. Sind sie so bibelfest?
Scheelen: In der Bibel war ich als Jugendlicher immer gut bewandert. Als Protestant war ich damals in der Markuskirche aktiv. In der Rede beziehe ich mich auf eine Bemerkung des damaligen Finanzministers Theo Waigel, der sich selbst mit einem Zöllner verglich. Ich habe recherchiert, wo das im Evangelium steht. Und da es noch nicht das Internet gab, habe ich meinen alten Pfarrer von der Markuskirche angerufen. Der sagte mir sofort: Schau mal nach bei Lukas 15. Also habe ich dann Waigel daran erinnert, dass schon in der Bibel die Zöllner als Sünder schlechthin galten. Die Lacher und den Beifall hatte ich auf meiner Seite.
Wolfgang Clement hat sie Jahre später nach Ihrer Verteidigung der Gewerbesteuer salopp mit „na, du Revoluzzer“ angesprochen. Wie haben Sie reagiert?
Scheelen: Ich habe geschmunzelt. Mein Fazit daraus: Man verdient sich Respekt, wenn man seine eigene Meinung vertritt.
Sie haben eine kleine Wohnung in Berlin und dort fast 20 Jahre die Hälfte des Jahres verbracht. Ist Krefeld Ihnen nicht jetzt im Ruhestand zu klein?
Scheelen: Im Gegenteil: Berlin ist mir zu groß. Meine Frau und ich haben uns vor vielen Jahren schon das Ein-Zimmer-Appartement gekauft, unter dem Aspekt, im Ruhestand dort jedes Quartal sieben bis zehn Tage zu verbringen — ohne unsere Heimatstadt zu verlassen. Krefeld hat etwas Überschaubares, etwas Knuffiges.
Sammeln Sie noch Geräte von Braun und Schallplatten?
Scheelen: Ja, aber inzwischen habe ich ein neues Hobby. Ich habe mir vor drei Jahren zu meinem alten Mercedes noch einen Mercedes Benz Cabrio 280 SL zugelegt. Meine Frau teilt mein Faibel und deshalb werden wir mit dem Wagen häufiger auf Tour gehen.
Dann steht jetzt nur noch Entspannung und Vergnügen für Sie an?
Scheelen: Ja, aber Vergnügen hat mir auch die Politik bereitet. Eine Sache liegt mir aber noch am Herzen. Über eine ehemalige Mitarbeiterin in Berlin habe ich es mit Unterstützung geschafft, einen neuen Studiengang zu Public Service Management an der Universität Leipzig zu implementieren. Das ist ein neuer, deutschlandweit einmaliger Masterstudiengang. Er vermittelt im Kontext der europäischen Politik sowie des europäischen Rechtsrahmens eine problemorientierte, wissenschaftlich fundierte, akademische Aus- und Weiterbildung im Bereich der öffentlichen Wirtschaft, der öffentlichen Verwaltung, des Finanz-, Politik- und Gesellschaftswesens. Der Beirat hat mich zu seinem Vorsitzenden gewählt. Der Studiengang startet voraussichtlich im Wintersemester 2014/15. Deshalb bin ich von nun an auch häufiger in Leipzig.