30 Jahre ICE „Flaggschiff“ der Deutschen Bahn kommt aus Krefeld

Krefeld · Ende Mai 1991 wurde der erste ICE-Schnellzug offiziell eingeweiht. Im Siemens-Werk in Uerdingen erinnert sich noch mancher an den emotionalen Moment. Die Entwicklungen sind seitdem stetig fortgeschritten.

Spitzentechnologie „Made in Krefeld“: Ein Einblick in die ICE-4-Produktion bei Siemens Mobility in Uerdingen.

Foto: Siemens AG/HL-STUDIOS

Der Intercity-Express, kurz ICE, wird 30 Jahre alt. Von Beginn an war auch der Siemens-Mobility-Standort Uerdingen, früher Waggonfabrik Duewag, ein wichtiger Bestandteil für die Fertigung des Hochgeschwindigkeitszugs. 

Ingenieur Peter Lankes blickt auf die Geschichte seiner „Kinder“ zurück. Das älteste von ihnen feiert an diesem Samstag seinen 30. Geburtstag. Mit einer Sternfahrt zum neu gebauten Fernbahnhof Kassel-Wilhelmshöhe wurde am 29. Mai 1991 der erste Hochgeschwindigkeitszug in Deutschland eingeweiht. Wenige Tage später, am 2. Juni, kam der ICE1 erstmals im Linienbetrieb von Hamburg nach München zum Einsatz. 280 Kilometer pro Stunde erreicht der Zug in der Spitze. Deutschland war endlich angekommen im Zeitalter des Hochgeschwindigkeitsverkehrs auf der Schiene.

„Ich habe mich gefühlt, als wenn das eigene Kind in die Schule kommt“, sagt Lankes über die damaligen Tage. Als Projektleiter bei der Deutschen Bahn hat der inzwischen 70-Jährige die ersten drei ICE-Generationen mitkonzipiert, entwickelt und auch selbst gefahren. Er war bei der Jungfernfahrt des ICE1 mit an Bord, saß bei den ersten Linienfahrten sowohl des ICE2 als auch des ICE3 selbst am Fahrhebel.

Zu den prägenden Momenten seiner Bahnzeit gehörten Erfolge wie die Ankunft des ersten deutschen Hochgeschwindigkeitszugs in Paris im Juni 2007. Dazu gehörte aber auch die größte Katastrophe in der Geschichte der deutschen Eisenbahn, das ICE-Unglück von Eschede in Niedersachsen mit mehr als 100 Toten im Jahr 1998.

Lankes war 1982 zur damaligen Bundesbahn gekommen und 1985 in das Bundesbahn-Zentralamt nach München gewechselt. Dort stieg er zunächst in die Projektleitung des ICE-Prototypen ICE-V mit ein und war beim ICE1 von Anfang an dabei. „Schwerpunktmäßig war ich beim ICE1 mit der Entwicklung des Führerstands und des Speisewagens befasst“, sagt er.

Während heute der Technik-Konzern Siemens als Generalunternehmer die ICE-Züge baut, liefen die Fäden damals noch bei der Bundesbahn selbst zusammen. „Es gab in dieser Zeit eine starke Zersplitterung der Schienenfahrzeugindustrie und damit einfach keine deutsche Firma, die alleine dazu in der Lage gewesen wäre, einen kompletten ICE zu bauen“, betont Lankes. „Das hat aber auch so gut funktioniert, es gab einen klaren Teamspirit in der Mannschaft.“ Frankreich hatte seinen Hochgeschwindigkeitszug TGV schon 1981 in Betrieb genommen. „Industrie, Bahn und Politik hatten alle ein Interesse daran, dass das auch in Deutschland in die Gänge kommt“, sagt der Ingenieur.

Ausgebaut werden musste dafür auch die Infrastruktur. „Wir hatten bis zum Jahr 1991 praktisch noch keine Schnellfahrstrecken für die Eisenbahn“, sagt Andreas Geißler, Referent für Verkehrspolitik beim Interessenverband Allianz pro Schiene. Für den Start des ICE wurden deshalb die ersten Hochgeschwindigkeitsstrecken Stuttgart-Mannheim sowie Hannover-Würzburg gebaut.

Zudem fehlte es im damals erst seit kurzem wiedervereinigten Deutschland an Strom: „Die ersten ICE-Züge fuhren natürlich rein elektrisch und konnten erstmal gar nicht in den Osten gelangen, weil die Oberleitungen fehlten“, sagt Geißler. Erst 1993 wurde Berlin an das Streckennetz angeschlossen.

Die staatseigene Bundesbahn hatte auch die ländlichen Räume über Jahre vernachlässigt, zahlreiche Strecken zurückgebaut und sich aus der Fläche zurückgezogen. Mit dem Beginn der Hochgeschwindigkeits-Ära und nicht zuletzt der Neuaufstellung der Bahn als privatrechtliches Unternehmen im Jahr 1994 änderte sich das allmählich. „Bis heute ist es jedoch so, dass viele Nachbarländer den Ausbau des Bahnnetzes schneller umgesetzt haben als wir“, sagt Geißler.

Das macht der Politik, aber auch der Deutschen Bahn heute noch zu schaffen. Inzwischen ist die vierte Generation des ICE im Einsatz. Der Konzern bereitet den sogenannten Deutschland-Takt vor: Er soll nicht nur Fahrzeiten auf den wichtigen Schnellfahrstrecken verringern, sondern vor allem den Fernverkehr mit der Fläche besser verknüpfen und den Anteil der Schiene am gesamten Güterverkehr steigern. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) macht sich mit anderen Ländern zudem dafür stark, den transeuropäischen Verkehr mit neuen Verbindungen und mehr Nachtzuglinien zu stärken.

Kritiker fürchten, dass dafür die derzeitige Infrastruktur nicht ausreicht. Anders als etwa in Frankreich, wo die Schnellzüge auf ihren eigenen Trassen fahren, teilen sich in Deutschland Fern-, Regional-, und Güterverkehr die Gleise. Der Bund investiert Milliarden in die Modernisierung und die Digitalisierung des bestehenden Netzes. Für neue Strecken nimmt er aus Sicht der Skeptiker aber zu wenig Geld in die Hand. Zu lange sei in Deutschland die Verkehrspolitik von der Autolobby diktiert worden, sagt auch Bahn-Ingenieur Lankes. Scheuers Pläne nennt er „ermutigend“. Wie und wann sie umgesetzt werden, bleibe aber abzuwarten.

Peter Lankes genießt nach wie vor die Fahrten in den von ihm mitgebauten ICE-Zügen. „Wenn ich in einen ICE1 als Fahrgast einsteige, dann ist da eine Vertrautheit, wie eine Art Wohnzimmer“, sagt er. Übrigens war einer der fünf ICE1 bei der Jungfern-Sternfahrt im Mai des Jahres 1991 eine Viertelstunde zu spät am Ziel - ausgerechnet mit Bundespräsident Richard von Weizsäcker an Bord. Auch das dürfte vielen Bahn-Kunden durchaus vertraut vorkommen. dpa