Krefeld Demenz: Das Vergessen von Wörtern und Zeit

Die Sprechstunde im Alexianer ist der Anfang der medizinischen Behandlung Erkrankter. Ein Netzwerk sichert aber auch Versorgung und Betreuung der Patienten.

Krefeld: Demenz: Das Vergessen von Wörtern und Zeit
Foto: Dirk Jochmann

Krefeld. Elisabeth W. (Name von der Redaktion geändert) merkte als Erste, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Sie war immer eine gute Autofahrerin gewesen, aber plötzlich ging es nicht mehr richtig. „Sie fuhr auf der linken Seite“, erzählt ihr Mann Georg, der auch noch andere deutliche Zeichen für eine Veränderung entdeckte. Wenn seine Frau Briefe in „ihrer Ecke“ im Wohnzimmer an ihre vielen Verwandten schrieb, bat sie ihren Mann immer häufiger, ihr Worte zu buchstabieren. „Früher war ich es, der bei beruflicher Korrespondenz schon mal fragte, wie etwas geschrieben wurde, jetzt war es umgekehrt“, erinnert sich der heute 84-Jährige an die ersten Momente, in denen der Verdacht auf Demenz aufkam. Das ist mittlerweile zehn Jahre her. „Die Demenz hat den tiefsten Punkt erreicht“, sagt Georg W..

Dass er mit seiner Gattin trotzdem all die Jahre in den eigenen vier Wänden bleiben konnte, „wo wir uns am wohlsten fühlen“, liege daran, dass sie beide von Anfang an Hilfe gehabt hätten. Durch die Demenz-Sprechstunde im Gerontopsychiatrischen Zentrum (GPZ) des Alexianer-Krankenhauses wurde seine Frau nicht nur durchgetestet und behandelt. Ein Sozialarbeiter, den sie über die Klinik fanden, baute die für das Paar passenden Hilfen auf. Dabei geht es nicht nur um Versorgung und Betreuung der Patientin, sondern auch um Unterstützung für Georg W., beispielsweise durch Gesprächsgruppen für Angehörige oder das Theaterlabor für Betroffene und Angehörige.

„Über viele Jahre gab es das Problem, dass medizinisches und soziales System nicht zusammengearbeitet haben. Menschen mit Demenz wollen aber zu Hause sein, teilhaben und möglichst nicht in ein Heim oder Krankenhaus“, sagt Professor Dr. Ralf Ihl, Chefarzt der Klinik für Gerontopsychiatrie und Psychotherapie am Alexianer-Krankenhaus. „Unsere Aufgabe ist es zu versuchen, das, so lange es geht, möglich zu machen.“

Das ist mit dem Versorgungsnetzwerk Krefeld gelungen, das auch das Gesundheitssystem entlastet. Krankenhäuser, Krankenkassen, niedergelassene Ärzte, Stadt, soziale Träger und Pflegestützpunkte arbeiten zusammen. „Sobald ein Mensch, bei dem Gedächtnisstörungen auftreten, krank wird, egal, wo er aufläuft — beim Hausarzt, im Krankenhaus oder einer Beratungsstelle —, wird Kontakt mit einem Sozialarbeiter hergestellt.

Wie im Fall von Elisabeth W. und ihrem Mann. Auch sie bekamen Hilfe von einem begleitenden unabhängigen Koordinator (BUK), wie diese speziellen Sozialarbeiter im Versorgungsnetzwerk Krefeld genannt werden. „Sie erhalten nicht von zehn Leuten ein bisschen Informationen, sondern von einem alle wichtigen Infos, und ein Vertrauensverhältnis entsteht“, berichtet der Neurologe. Und sie empfehlen, wenn die Betroffenen nicht bereits dort waren, die Gedächtnissprechstunde.

In ihr werden all die medizinischen Fragen geklärt. Die Wichtigste: Liegt tatsächlich Demenz vor? „Die Menschen, die hierhin kommen, und massiv glauben, sie hätten Demenz, haben sie in den wenigsten Fällen und häufig Depressionen. Während diejenigen, die ich frage, ob es sein könnte, dass ihr Gedächtnis schlechter ist als früher, meist so etwas antworten wie ,Ich bin halt schon etwas älter’.“

Demenz ist ein psychiatrisches Syndrom. Demenzen haben viele Krankheitszeichen und entstehen durch Veränderungen des Gehirns. Die Ursache ist unbekannt. Eine neuere Erklärung der Wissenschaft ist, dass die Krankheit durch Entzündungen hervorgerufen werden könnte. Laut Ihl fanden sich Reste von Bakterien im Gehirn, die normalerweise auf der Zunge bekannt sind. Es gibt Hinweise, dass sie durch schlechte Mundhygiene einwandern können und Entzündungen auslösen, die wiederum zur Ablagerung von Eiweißen führen (siehe Kasten). „Nur in ein bis zwei Prozent der Fälle, meist bei Kranken unter 60 Jahren, gibt es genetische Gründe“, sagt Ihl.

Rund 1000 Patienten werden im Jahr im GPZ ambulant, 600 stationär betreut. Am Anfang steht die Gedächtnissprechstunde, an der drei Oberärzte und drei Assistenten beteiligt sind. Blut, Herz- und Hirnströme werden dabei bereits in Augenschein genommen. EKG, EEG und eine Schichtaufnahme vom Gehirn gehören dazu. Wichtiger Bestandteil der Untersuchungen ist außerdem ein psychologischer Test zur Früherkennung der Demenz. Zu ihm gehören zum Beispiel Fragen nach dem Datum und der Jahreszeit. Sieben Wörter werden vorgelesen und gezeigt, die die Untersuchten wiedergeben sollen.

Was die verschiedenen Stadien von Demenz angeht, ist es für die Mediziner hilfreich, die Patienten eine Uhr, die zehn nach elf zeigt, zeichnen zu lassen. Fehler bei der Zeigerposition nehmen von Stadium zu Stadium zu. Die Zahlen geraten durcheinander, verlassen das Zifferblatt. Zuletzt ist nichts mehr zu erkennen.

Heilbar ist eine Demenz nicht. Man könne nur versuchen, das Voranschreiten zu verlangsamen, sagt Ihl. „Wenn man alles einsetzt, medikamentöse Möglichkeiten, soziale Strukturen, dann schaffen wir es im Mittel, den Zustand drei Jahre lang stabil zu halten.“ Grundsätzlich könne es aber schnell gehen und sich der Zustand innerhalb eines Jahres stark verschlechtern, aber es könne auch 20 Jahre dauern.