Historische Plätze in Krefeld Plätze, die eigentlich Kriegsbrachen sind

Krefeld · In der WZ-Serie „Historische Plätze“ führt der Spaziergang mit Claudia Schmidt und Georg Opdenberg heute unter anderem zum Dr.-Hirschfelder-Platz.

 Der Dr.-Hirschfelder-Platz dient an der Dreikönigenstraße bislang als öffentlicher Parkplatz.

Der Dr.-Hirschfelder-Platz dient an der Dreikönigenstraße bislang als öffentlicher Parkplatz.

Foto: Bischof, Andreas (abi)

Die Krefelder sind sich ihrer zahlreichen Plätze gar nicht bewusst. 38 gibt es allein innerhalb der vier Ringe im Westen und Blumental-, Leyental-, und Philadelphiastraße im Osten, 24 davon begrünt. Innerhalb des Wallvierecks sind es 19, zwölf davon sind begrünt. Und dennoch wird in Gesprächen immer wieder ein Mangel daran betont. „Wir haben Plätze ohne Ende“, sagt Stadtforscher Georg Opdenberg bei einem Rundgang im Rahmen der Serie „Historische Plätze“. Von seiner Begleitung, der Architektin und Krefelderin Claudia Schmidt, wird umgehend daran erinnert: „Das sind teils Kriegsbrachen und keine ‘Plätze’.“ Die bekanntesten Brachflächen sind der „Dr.-Hirschfelder-Platz“, der „Max-Petermann-Platz“ in unmittelbarer Nähe, der „Anne-Frank-Platz“ und der „Willy-Göldenbachs-Platz“. Sie haben Potenzial zur Stadtentwicklung und sind das Ziel der heutigen Folge.

Isidor-Hirschfelder-Platz erinnert an jüdischen Kinderarzt

Der „Dr.-Hirschfelder-Platz“ ist selbst nicht allen Krefeldern bekannt. Direkt hinter dem Kaufhof, im Karree zwischen Peters- und Lohstraße sowie Dreikönigen- und Stephanstraße liegend, wird er vielmehr als begrünter Parkplatz wahrgenommen, was er seit der Nachkriegszeit ja auch ist. „Ursprünglich standen hier zwei schmale langgestreckte Häuserblocks, die die Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg nicht überstanden haben“, erzählt Opdenberg. Der Häuserblock zwischen König- und der ursprünglich bis zur Stephanstraße verlaufenden Lohstraße gehört zur barocken Stadterweiterung von 1711, der schmale Streifen zwischen Loh- und Petersstrasse wurde mit der berühmten sechsten Stadterweiterung von Vagedes bebaut. Ursprünglich war die Peterstraße die Umgehungsstraße außerhalb der Stadtmauer und wurde von Vagedes wieder verwertet, so Opdenberg.

Der heutige Platz ist benannt nach Dr. Isidor Hirschfelder, ein sozial sehr engagierter und geschätzter Krefelder Kinderarzt jüdischen Glaubens. Er hatte das erste Krefelder Kinderkrankenhaus aufgebaut und jahrelang geleitet. Aufgrund der ab 1933 stetig zunehmenden Verfolgung durch die örtlichen Nationalsozialisten und seiner drohenden Deportation in ein Konzentrationslager wählte Hirschfelder den Freitod. Das ursprüngliche Handwerkerkrankenhaus wurde 1931 abgebrochen und durch den heute noch bestehenden Bau Petersstraße 71-79 und ersetzt. In dem – wegen der Verbreiterung der Dreikönigenstraße – um acht Meter verkürzten Häuserblock sind heute Mietwohnungen der Wohnstätte untergebracht.

Seit 2001 gibt es in der Verwaltung Überlegungen, im Rahmen von Stadtumbau West die Krefelder Plätze zu thematisieren. Das Innenstadtgutachten von Junker und Kruse empfiehlt eine Aufwertung des Dr.-Hirschfelder-Platzes. In einer Ideenwerkstatt mit Bürgern sind im Juni erste Ideen gesammelt worden. Sie fließen mit ein in ein erstes Nutzungs- und Gestaltungskonzept, das in einer zweiten Ideenwerkstatt diskutiert werden soll.

„Der Dr.-Hirschfelder-Platz wird hier losgelöst vom Ganzen gesehen“, sagt Claudia Schmidt. Er sei aber vielmehr im Zusammenhang mit der historischen Gesamtanlage der Stadt und dem noch nicht vorgelegten Mobilitätskonzept zu betrachten. Die Straßen der Zukunft sollten wieder durchlaufend von Ost nach West und von Süd nach Nord gestaltet werden und mehr Raum bieten für Fußgänger und Radfahrer. Der öffentliche Raum bekäme dadurch eine andere Qualität. „Eine Teilbebauung im Grundriss von 1711 wäre schön und würde die Logik des Stadtgrundrisses wieder sichtbar machen.“

Die vom Fahrradclub ADFC vorgeschlagenen Radachsen auf der König- und Dreikönigenstraße kreuzen sich am Dr.-Hirschfelder-Platz. Schmidt kann sich deshalb dort eine Radstation und unterirdische Quartiersgarage gut vorstellen.

Das Krefeld des 19. Jahrhunderts ist vielerorts verschwunden. Wo einst Reihen von kleinen Weberhäusern standen, tun sich heute weite Freiflächen auf wie der nur einen Steinwurf entfernte Max-Petermann-Platz und der Anne-Frank-Platz. Der Max-Petermann-Platz, gegenüber der früheren Königsburg, ist in den 90er-Jahren zu einem Spielplatz ausgebaut worden. Trotz hoher Investitionen und geplanter Wasserspiele fristet er, schon lange herunter gekommen, ein Schattendasein.

Historische Fassaden sind in der Innenstadt Mangelware. Deshalb lohnt sich der Gang vom Max-Petermann-Platz über die schmale Mittelstraße Richtung Breite Straße.

Engagierte Krefelder haben
alte Bordellhäuser gerettet

„Die Mittelstraße ist ab der zweiten Auslage von 1711 die Umgehungsstraße Krefelds gewesen“, erzählt Opdenberg. In Höhe des früheren Teppichhauses Esser auf der Hochstraße endete damals Krefeld am dortigen Stadttor. Deshalb ist an dieser Stelle Richtung Südwall die Hochstraße auch etwas aufgeweitet. „Für die Pferdekutschen und Fuhrwerke, die dort ankamen“, berichtet Opdenberg.

Keine 100 Meter weiter auf der Mittelstraße liegt rechter Hand ein kleiner Platz, der bis zur Stephanstraße reicht. Das Café Mari hat heutzutage dort seine Terrasse mit kleinen Tische und Stühlen. Einen Namen hat der Platz bis heute nicht. „Aber aufgrund seiner Größe und der proportionierten Platzwände funktioniert er“, erläutert Claudia Schmidt. „Die Kreuzung Wallstraße/Stephanstraße ist bis heute der tiefste Punkt“, sagt Opdenberg, der jahrzehntelang als Vermesser für die Stadt Krefeld gearbeitet hat. Und tatsächlich: Das Auge des Betrachters erkennt das sofort. Hier ist eine natürliche Senke aus der Eiszeit gewesen. Hoch- und Breite Straße liegen bis heute höher. Anstelle der heutigen Wiedenhofstraße verlief dort der Stadtgraben. Erst ab 1870 gab es in Krefeld eine Kanalisation, da zählte Krefeld schon 65 000 Einwohner. Bis dahin wurden Unrat und Fäkalien einfach auf die Straße gekippt. Da war ein Gefälle schon wichtig, damit die Hinterlassenschaften abfließen konnten.

Die Wallstraße geht bis in die heutige Zeit über in die Mühlenstraße, die ihren ursprünglichen Namen beibehalten hat. In dieser heruntergekommenen, stinkigsten Ecke Krefelds siedelten sich ab 1880 in den alten Häusern Bordelle an. Als sie um 1900 abgerissen werden mussten, wurden eigens neue Bordellhäuser gebaut. „Weil die Eigentümer nicht auf die Einnahmen verzichten wollten“, erklärt Opdenberg. Die dortige Hochgarage an der Wallstraße aus den 1920er Jahren wurde in den 1980er-Jahren abgerissen, dort entstand der ‘Anne-Frank-Platz’, der den Blick auf die Rückseiten der Häuser an der Hochstraße frei gibt. Eine für einen innerstädtischen Platz eher untypische Situation, so Schmidt. Der Abriss der gegenüberliegenden Bordellhäuser konnte von engagierten Krefeldern verhindert werden. Heute sind sie restauriert und Zeitzeugen der Krefelder Stadtgeschichte.

Der frühere Wiedenhofplatz – ebenfalls eine als Parkplatz genutzte Kriegsbrache – sollte in den 1990er-Jahren zum „Gartenplatz“ umgestaltet werden. Umbenannt in Willy-Göldenbachs-Platz, wird er von den Krefeldern nur „der halbe Willy“ genannt. Denn aufgrund der Proteste von Geschäftsleuten knickte die Politik ein und setzte nur eine Hälfte des Platzes im Garten um, die andere ist weiterhin Parkplatz.