Bezirksvertreterin Eine kämpferische Frau hört auf
Krefeld · Gerda Schnell verabschiedet sich nach 23 Jahren aus der Bezirksvertretung Mitte. Sie hat Vieles erreicht.
Gerda Schnell ist eine kämpferische Frau. Sie stemmt sich ihr Leben lang gegen Ungerechtigkeit, will identitätsstiftende Krefelder Architektur bewahren und ein soziales, gesellschaftliches Miteinander fördern. Dafür nimmt sie auch schon mal in Kauf, dass selbst ihre Parteigenossen der SPD wegen einer unliebsamen Gegenstimme von ihr einige Wochen lang nicht mit ihr sprechen. So geschehen vor rund zehn Jahren, als sich die SPD-Fraktion mehrheitlich für ein Einkaufszentrum im unter Denkmalschutz stehenden alten Stadtbad Neusser Straße aussprach – und Gerda Schnell vehement dagegen war. „Ich habe aber auch in all den Jahren unheimlich viel Unterstützung erfahren – aus der Politik ebenso wie aus der Bürgerschaft.“ Darauf ist sie zurecht stolz. In der jüngsten Sitzung der Bezirksvertretung Mitte ist sie nach 23 Jahren in dem Gremium wegen des Umzugs mit ihrem Mann Günter Holthoff nach Bockum als Bezirksvertreterin herzlich von allen verabschiedet worden. Grund für die WZ, sich ihre politische und persönliche Vita genauer anzuschauen.
Kampf für Gleichstellung
von Schwestern und Pflegern
Seit 40 Jahren ist die 78-jährige ehemalige Krankenschwester aktiv in der Krefelder Politik. Lange bevor das Wort Gleichstellung zum Programm bei der Stadt Krefeld mit Einrichtung einer eigenen Gleichstellungsstelle erklärt wurde, kämpfte sie für die gleichen Rechte von Krankenschwestern und Krankenpflegern in den Städtischen Krankenanstalten, dem heute privatisierten Helios-Klinikum. Während sich die Männer bei der Stadt als Pfleger direkt um eine Stelle bewerben konnten, waren die Frauen bei der DRK-Schwesternschaft Mitglied und wurden per Gestellungsvertrag in den Krankenanstalten beruflich eingesetzt. „Ich habe im Klinikum aufgeräumt“, sagt sie rückblickend mit ihrer direkten, unverblümten Art. Sie kämpft jahrelang gegen die sogenannten Gestellungsverträge der DRK-Schwesternschaft, gründete mit Hilfe der Gewerkschaft ÖTV einen Betriebsrat in der betriebsratsfreien DRK-Schwesternschaft. Mit dem richtungsweisenden Urteil des Europäischen Gerichtshofes (vom 17. November 2016, C-216/15) ist die Sonderstellung der DRK-Schwestern nun auch offiziell aufgehoben.
„Man muss einen langen Atem haben in der Politik“, sagt Schnell. Im Falle des Ausbaus der Philadelphiastraße sage und schreibe 50 Jahre. Der soll laut Aussage von Planungsamtsleiter Norbert Hudde im dritten Quartal 2019 beginnen. Ein Vorhaben, dass sie in der BZV Mitte schon lange verfolgt.
Sie erwirkte Ehrenbürgerschaft für Adolf Luther
Wer einen langen Atem hat, kann auch etwas bewegen. Die Liste ihrer Erfolge ist lang. Sie ist Gründungsmitglied beim Kresch-Theater, dem Frauenkulturbüro und des Vereins Villa Merländer, der das NS-Dokumentationszentrum der Stadt Krefeld unterstützt. Sie setzt sich für die Integration von Frauen und Migranten ein. Ihrer Initiative als Vorsitzende des Denkmalausschusses ist es zu verdanken, dass die Campendonk-Bilder in der Villa an der Friedrich-Ebert-Straße 42 freigelegt werden konnten. Sie bewirkte, dass die Arthothek nach Krefeld kam.
Wie sehr ihr auch Krefelds Künstler am Herzen liegen, zeigt ihr Engagement zugunsten des Spiegelkünstlers Adolf Luther. „Ich bin besonders stolz darauf, das ihm die Stadt 1990 aufgrund meines Vorschlags die Ehrenbürgerschaft angeboten hat.“ Dadurch sei er für sein künstlerisches Schaffen noch zu Lebzeiten geehrt worden. Wenige Monate später ist der Künstler verstorben.
Dass es das Folklorefestival heute noch gibt, ist ihrer Fähigkeit zu verdanken, Allianzen über Fraktionsgrenzen zu schmieden. Zweimal habe sie es mit Hilfe von städtischen Zuschüssen gerettet.
Auch vor heißen Wirtschaftsthemem ist die SPD-Politikerin – selbst gegen Widerstände aus der eigenen Partei – nicht zurückgeschreckt. So habe sie sich vehement gegen zeitweilig favorisierte Cross Border Leasing eingesetzt, das letztendlich von allen Fraktionen im Rat wegen der zu hohen Risiken abgelehnt wurde. Die Stadt Krefeld plante im Jahr 2002, im Rahmen eines US-Leasings das städtische Kanalnetz an einen amerikanischen Konzern zu vermieten. Auf diese Weise nutzen damals bereits mehrere deutsche Städte ein Schlupfloch im amerikanischen Steuersystem aus. Außerdem habe sie sich sehr dafür eingesetzt, dass das von Bayer und Trianel geplante und von ihrem Parteigenossen und damaligen Bundesumweltminister Sigmar Gabriel begrüßte Kohle-Kraftwerk im Krefelder Hafen nicht realisiert worden ist.
Dass die Wirtschaftsförderungsgesellschaft (WFG) heute das „Werkkontor Krefeld“ am Nauenweg als „Erfolgsbeispiel öffentlich-privater Zusammenarbeit“ feiern kann, ist laut Schnell einem Zufall und ihrer Aufmerksamkeit zu verdanken. Die damalige Vorsitzende des Denkmalausschusses (von 2009 bis 2014) saß als Mitglied im WFG-Aufsichtsrat, als bei der Diskussion um ein nicht mehr nutzbares und abzureißendes Gebäude ein Foto davon an der Wand hing. „Das war ein Fehler“, sagt Schnell und lächelt noch heute. Darauf zu sehen war das Lichtenthäler-Haus am Nauenweg. „Das wird nicht abgerissen, das stellen wir unter Denkmalschutz und retten es“, sagt Gerda Schnell aus der Erinnerung. Das war letztendlich gar nicht nötig. Die WFG erkannte den Wert und baute es unbürokratisch und aufwendig um.
Jüngstes Beispiel für ihr unerschütterliches Engagement ist das Bootshaus im Stadtwald. 2011 sah sie erstmals, dass im Dach des Fachwerkhauses Ziegel fehlten und meldete es der Stadt. Statt eine Reparatur zu beauftragen, hörte sie ein paar Wochen später im nicht-öffentlichen Teil des Denkmalausschusses von Dezernent Martin Linne, dass das Bootshaus marode sei und abgerissen werden sollte.
„Mein Herz war so voll von Bootshaus, dass ich überall darüber gesprochen habe und in dem Architekten Klaus Reymann einen Mitstreiter gefunden habe.“ Es begann eine große Rettungs- und Spendensammelaktion. „Über gesellschaftliche Grenzen und politische Strömungen hinaus haben alle an einem Strang gezogen“, sagt Schnell, die – auch wenn sie es nicht sagt – der Motor dafür gewesen ist.