Interview mit Michael Gilad: Jüdische Gemeindemitglieder sind in Krefeld zu Hause
Michael Gilad spricht über Antisemitismus, die Kulturtage und das Grab von Marianka Korpatsch.
Krefeld. Im Rheinland finden vom 22. Februar bis zum 22. März die Jüdischen Kulturtage statt. Das Motto in diesem Jahr lautet „angekommen — jüdisches (er)leben“. Auch in Krefeld finden an verschiedenen Orten Veranstaltungen statt. Über diese Tage im Besonderen und das jüdische Leben in Krefeld im Allgemeinen sprach die WZ mit dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Michael Gilad.
Die Jüdische Gemeinde in Krefeld ist seit 1990 stark angewachsen. Innerhalb eines Jahrzehnts wuchs die Zahl der Gemeindemitglieder von 150 bis 200 Mitgliedern auf heute 1100 an. Sind die neuen Mitglieder vorwiegend aus der früheren Sowjetunion in Krefeld angekommen?
Michael Gilad: Ganz klar, ja. Sie sind jetzt hier zu Hause. Wir bieten zweimal die Woche Sprachkurse an. Die Sprache des neuen Landes zu erlernen, ist ganz wichtig, um sich integrieren zu können. Es ist der Grundstein für ein neues Leben. Für die alten Menschen hingegen ist es schwer, jetzt noch eine fremde Sprache zu erlernen. Deshalb haben wir inzwischen Bibeln, die auf der jeweils linken Seite in kyrillisch und auf der rechten Seite in hebräisch bedruckt sind.
Haben die Menschen beruflich hier eine Perspektive?
Gilad: Wir sind richtig stolz vor allem auf unsere Jugend. Fast alle haben studiert, viele sind sehr begabt. Die Erwachsenen haben oftmals sehr gute Berufe in ihrer Heimat erlernt. Die Abschlüsse werden hier jedoch nicht anerkannt, beispielsweise bei den Medizinern. Dafür klagen wir in Deutschland über Ärzte-Mangel.
Werden die Jüdischen Kulturtage in Krefeld gut besucht?
Gilad: Wir bieten sie jetzt zum vierten Male an. Der Zuspruch ist von Anfang an sehr gut. Hätte mir jemand vor 25 Jahren erzählt, dass es künftig regelmäßig Jüdische Kulturtage geben wird, hätte ich mir das nicht vorstellen können.
Was ist für Sie der Höhepunkt?
Gilad: Der Abend in der Synagoge am 15. März, bei der zwei Bands Klassik jüdischer Komponisten, Klezmer und jüdischen Jazz spielen werden. In den Pausen gibt es ein koscheres Buffet.
Besucher wünschen sich, dass diese Veranstaltung häufiger stattfinden möge. Ist daran gedacht?
Gilad: Nein, alles was öfter stattfindet, verliert im Laufe der Zeit an Beachtung.
Was möchten Sie mit den Jüdischen Kulturtagen erreichen?
Gilad: Menschen zusammenbringen. In der Vergangenheit haben wir beispielsweise auch nach einer kurzen Bedenkzeit unser Gemeindehaus für den Auftritt eines türkischen Jazz-Trios vermietet. Das war ein besonderer Abend für alle Besucher.
Ein Beispiel für Ihre Offenheit anderen Kulturkreisen gegenüber ist das Angebot, die Pflege für die Grabstätte von Marianka Korpatsch zu übernehmen.
Gilad: Als ich in der WZ gelesen habe, dass die Nichte einer Überlebenden des Vernichtungslager Auschwitz nicht mehr in der Lage ist, die Gebühren für den Erhalt der Ruhestätte zu zahlen, habe ich nach Rücksprache mit unserer Geschäftsführerin Alla Trubnjakob-Johnen sofort den Beigeordneten Thomas Visser angerufen. Es darf nicht sein, dass so eine Diskussion in die Öffentlichkeit kommt. Wir haben beschlossen, die Grabpflege für die nächsten fünf Jahre zu übernehmen. Und Herr Visser hat noch einen Spender gefunden, der die weiteren fünf Jahre übernimmt.
Krefeld gilt wegen seiner Vergangenheit als offene, tolerante Stadt. Spüren sie dennoch Antisemitismus?
Gilad: Vor einiger Zeit habe ich in einem Restaurant ein Gespräch älterer Herren zufälligerweise mit angehört, von denen einer fragte: „Wie lange man denn noch den Deutschen Auschwitz auf das Butterbrot streichen wolle?“ Später habe ich einen der Männer darauf angesprochen. Es ist ihm dann sehr peinlich gewesen. Das ist ein Beispiel von vielen. Ich kann das nicht mehr hören.