Kinder-Schicksale im Zweiten Weltkrieg
Über die Kinderlandverschickung hat Professor Gerhard Sollbach bei einer Versammlung der Villa Merländer berichtet.
Krefeld. Kinderlandverschickung — was so beschaulich nach Urlaub auf dem Land klingt, dahinter verbergen sich oft erschütternde menschliche Schicksale in den Jahren 1940 bis 1945. Das hat Gerhard Sollbach in einem kurzen, äußerst spannenden Vortrag bei der Jahreshauptversammlung in der Villa Merländer veranschaulicht. Der Professor der TU Dortmund beschäftigt sich schon länger mit dem Thema, hat mangels Dokumenten zahlreiche Zeitzeugen befragt und dabei schlimme Erlebnisse gehört.
Von Kindern, die nach Pommern geschickt wurden, um sie vor den Bomben auf westliche Großstädte zu schützen und dann von der Roten Armee getötet wurden. Von Jugendlichen, die sich in monatelanger Abwesenheit regelrecht von ihren Eltern entfremdet hatten. Von Kindern, die nach Hause kamen und dort nur noch die Trümmer ihres Elternhauses und die Gräber ihrer Familie fanden.
Sollbachs Fazit: „Das Nazi-Regime hat durch die Kinderlandverschickung viele junge Menschen vor dem Bombentod gerettet. Fakt ist aber, dass das Regime diesen Krieg selber angezettelt hat und Fakt ist auch, dass es diese Maßnahme zur Indoktrination der Kinder genutzt hat.“
Der Wissenschaftler hat in Gesprächen und Unterlagen Hinweise erhalten, aus denen hervorgeht, dass das Regime die Jugendlichen von „konkurrierenden Erziehungsmächten“ wie Eltern oder Kirche trennen wollte, um sie im Sinne des Nationalsozialismus zu erziehen. Dazu zählten auch Morgenfeiern mit Flaggenappell und Tageslosungen.
Das Programm begann auf Anordnung Hitlers Ende 1940, sei in der ersten Phase „freiwillig“ und auf sechs Monate beschränkt gewesen. Viele Eltern wollten die Kinder in Zeiten der Angriffe nicht so weit weggeben, hatten zudem Angst vor politischer Einflussnahme. Die meisten Kinder hingegen empfanden dies in Zeiten, wo Urlaub ein Fremdwort war, als Abenteuer.
In der zweiten Phase ab Sommer 1943 lief die Evakuierung über die Gauleitungen, Dauer: unbestimmt. Die Schulen wurden geschlossen, so dass Eltern kaum eine andere Wahl blieb, als ihre Kinder gehenzulassen. Allein im Ruhrgebiet, schätzt Sollbach, seien eine halbe Million junger Menschen davon betroffen gewesen.