Kinderheim Marianum: Merlin gibt jungen Flüchtlingen ein Zuhause

Im Marianum ist eine Gruppe für minderjährige Neuankömmlinge geschaffen worden.

Foto: Dirk Jochmann

Krefeld. Die Uhren an der Wand zeigen die Zeit in Algier, Bagdad, Damaskus und Rabat. Doch für Ali, Hussein und Mohammed zählt die Zeit in Krefeld. Es ist ein Neuanfang. In der zweiten Märzwoche eröffnete das Kinderheim Marianum seine erste Wohngruppe mit jungen Flüchtlingen. Zehn unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die zuvor in Hotels untergebracht waren, raufen sich seitdem erfolgreich zusammen. Über ihre individuelle Tragödie und die Flucht können die 15- bis 17-Jährigen - noch — nicht sprechen. Fotos vom Geschäft, das der Vater in der Heimat betrieb, machten bereits die Runde.

Die neue Gruppe nennt sich Merlin. Nicht nach dem mythischen Zauberer, sondern nach dem kleinsten Falken, der keine eigenen Nester baut, wie Teamleiter Andreas Böllertz erklärt. Auch für ihn ist die Gruppe mit den jungen Flüchtlingen Neuland. Zum Glück gibt es Azad Khalaf. Er lebt seit drei Jahren in Krefeld, spricht Arabisch und hat eine pädagogische Ausbildung. In Syrien leitete er eine Grundschule, im Marianum entwirrt er das Sprachknäuel und „ist auch mental eine große Hilfe“, sagt Böllertz.

Auf der dritten Etage im Marianum teilen sich je zwei Jungen ein Zimmer mit Bad. In dem großen Raum mit den Wanduhren finden die gemeinsamen Mahlzeiten und die Gruppennachmittage statt. In dem hellen, freundlichen Wohnzimmer stehen drei einladende Couchen, auf dem Tisch liegt ein Bildwörterbuch „Arabisch-Deutsch“. Gelbe Klebezettel geben den Dingen ihren Namen: Radio, Topfpflanze, Fernseher. Die neue Sprache will so schnell wie möglich gelernt sein. Andreas Böllertz hat 8000 Symbolkarten mit Bildern auf einer DVD. „Das ist unser Bild-Wegweiser.“

„Zwei pensionierte Lehrerinnen geben ehrenamtlich Deutschunterricht“, erzählt Heimleiter Heinz-Werner Knoop. Der 15-jährige Mohammed kommt aus Syrien, drei Jahre lebte er in Dubai. Er spricht fließend Englisch.

Nicht nur die deutsche Sprache steht auf dem Stundenplan, auch die deutsche Kultur soll vermittelt werden. In der Mediothek haben sie sich einen Schnupperausweis besorgt und die ersten Bücher ausgeliehen. Aber die Jugendlichen müssen auch mit ihren eigenen Kulturen in der Gruppe klar kommen. So wollten sich anfangs ein Algerier und ein Iraker kein Zimmer teilen. „Hier gilt für alle das Gleiche“, stellt der Teamleiter klar. „Alle müssen miteinander auskommen. Und das wird auch jeden Tag besser.“

Das Maß an Zufriedenheit steige auf beiden Seiten mit jedem neuen Tag. Die Atmosphäre im Marianum trage viel dazu bei, ist Heinz-Werner Knoop überzeugt. „Bei uns ist kein Platz, unsinnige Konkurrenzen fortzusetzen. Hier kann man die schwere Hypothek des Schicksals auch einmal ruhen lassen.“ Die Jugendlichen fühlen sich ernst genommen — und angenommen. Andreas Böllertz findet nur lobende Worte. „Alle benehmen sich vorbildlich und sind sehr höflich.“ Mit den anderen Kindern haben sie an der Osterfeier teilgenommen, sie waren im Schwimmbad und möchten als Nächstes gerne einheimische Jugendliche kennenlernen, mit ihnen Billard oder Kicker spielen. Vor allem Mohammed langweilte sich bisher. Sein Leben bestehe nur aus Essen und Schlafen, klagte er kürzlich noch. Am 11. ist sein erster Schultag. Das ist für ihn eine große Auszeichnung. Dann bekommt sein Leben wieder Struktur.