Kolumne Krefelder Frühstück Krefeld sollte stolz auf seine Vielfalt sein
Menschen aus 159 Nationen leben in Krefeld. Zu oft meckern wir über diese Diversität, meint unser Autor Janis Beenen. Krefeld sollte zu seiner Vielfalt stehen.
Guten Morgen,
woran denken Sie beim Stichwort „Theaterplatz“? Vielleicht an das Seidenweberhaus. Dieser Betonklotz, der sogar in der Sommersonne nach Novembertag aussieht. Oder an die Drogenkranken und den Ordnungsdienst, die sich stundenlang gegenüberstehen. Das scheint zuweilen wie die Aufstellung zum Duell – mitten in Krefeld. Erfreulich sind die wenigsten Assoziationen.
Doch es gibt Erfreuliches auf dem Theaterplatz. Schauen Sie aufs Theater selbst, ans obere Ende. Dort sehen Sie ein großartiges Signal. Da hängt ein Plakat mit der Aufschrift „Unter diesem Dach arbeiten Menschen aus 29 Nationen“. Die Botschaft ist fantastisch: Es ist gut, dass Menschen mit unterschiedlicher Herkunft zusammenkommen und gemeinsam etwas schaffen. Eine Institution bekennt sich zu ihrer Vielfalt und gegen aufkommende Ausgrenzung.
So etwas sollte es viel häufiger in Krefeld geben. Es passt zur Stadt. Schließlich sind wir eine vielfältige Gesellschaft, mehr als ein Drittel der Einwohner hat einen Migrationshintergrund. Viel zu oft sehen wir nicht, welche Vorteile das hat. Für Betriebe aller Art ist es zum Beispiel eine Chance, wenn Menschen mit unterschiedlicher Kultur, verschiedenen Alters und allen Geschlechtern zusammenkommen. Diese Unternehmen gelten als produktiver und innovativer. Mitarbeiter fühlen sich wohler, da einzelne Bedürfnisse mehr zählen, sagen Fachleute. Allein deshalb ist die Botschaft des Theaters so klug.
Dennoch: Über diese Möglichkeiten reden wir in Krefeld zu selten. Stattdessen höre ich bei meinen Gesprächen in der Stadt immer wieder Genörgel. Die Geschäfte am Beginn des Ostwalls werden da etwa „Dönermeile“ genannt, freilich mit leicht angewidertem Unterton. So etwas bekomme ich nicht bei Nationalisten mit, sondern bei Menschen, die ich in ihrer politischen oder gesellschaftlichen Funktion eigentlich als weltoffen empfinde. Was soll das? Wie wollen wir so zusammenfinden?
Im Übrigen: Die Ansammlung von Dönerläden liegt nicht unbedingt daran, dass muslimische Geschäftsleute einfach gerne und generell an Hauptbahnhöfen unterwegs sind. Es gibt für die Ballung eine Erklärung aus den Wirtschaftswissenschaften. Der amerikanische Ökonom Harold Hotelling war wohl nie in Krefeld, lieferte aber eine Theorie dafür, was am Ostwall los ist. Seine These: Um gleiche Kundschaft konkurrierende Geschäfte sind umso erfolgreicher, je näher sie am Wettbewerber sind. So verliert in diesem Fall niemand Laufkundschaft durch zu weite Wege. Zudem kann jeder gleich auf die Preise des anderen reagieren. Kurzum: Die Läden teilen sich die gesamte Nachfrage auf. So ist es auch bei Autohäusern vor der Stadt oder Klamottenläden im Zentrum. Nur der abfällige Sammelbegriff à la „Dönermeile“ fehlt.
Zwei Dinge zeigt Ihnen dieser kleine Exkurs. Erstens: Erklärungen, die auf Klischees basieren, sind meist Quatsch. Zweitens: Das Wirtschaftsstudium hat sich für mich doch gelohnt.
Der häufige Appell in einer Stadt wie Krefeld ist, dass sich Menschen verschiedener Kulturen tolerieren sollen. Das Theater zeigt, dass mehr geht. Tolerieren heißt nämlich dulden. Doch wollen wir Leute tatsächlich nur dulden? Wir müssen vielleicht dulden, dass Bayern ständig Meister wird. Aber Mitmenschen? Da reicht dulden nicht.
Miteinander reden, miteinander arbeiten muss das Ziel sein. Sonst läuft es allzu oft so: Nehmen Sie an, in Krefeld stünde ein größeres Bauprojekt bevor. Da erzählen in der Regel ältere, weiße Männer aus gut situierten Verhältnissen, warum die Idee so schlau ist. Das ist die Politik. Und zugegeben: Auch auf Seite der Medien sieht es kaum anders aus. Da übernehmen oft ältere, weiße Herren aus gut situierten Verhältnissen die Berichterstattung. Diese fehlende Diversität im Journalismus gibt es im Übrigen auch in meiner Redaktion.
Gerade in der Presse oder der Politik ist dieser Zustand ein Problem. Entscheidende Akteure einer gesellschaftlichen Debatte bilden die Gesellschaft, über die sie reden, nicht im Ansatz ab. Das Schild an mancher Fassade müsste lauten: „Unter diesem Dach arbeiten Menschen aus einer Nation.“ Bitter.
Das soll nicht heißen, dass all jene Politiker oder Redakteure keine Empathie für unterschiedliche Gruppen haben – im Gegenteil. Viele machen einen tollen Job und kennen Perspektiven verschiedener Menschen. Trotzdem fehlt oft die authentische Perspektive eines Menschen, dessen Eltern als Gastarbeiter nach Krefeld kamen. Oder eines Krefelders, der als Flüchtling kam.
Damit sich das in Zukunft verändert, müssen Barrieren verschwinden. Politiker, Journalisten, aber auch Geistliche oder Vertreter von großen Sport- wie Kulturvereinen müssen den Kontakt zu Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft suchen. Das schafft Verständnis und erleichtert den Einstieg.
Im Alltag kommt es zudem auf die Schulen an. Wenn mehr Unternehmen die Gelegenheit bekommen, sich dort vorzustellen, können sie mehr junge Leute erreichen. Da kommt der eine oder andere Jugendliche auf neue Ideen, was er später machen kann. Das sorgt für Vielfalt. Die Industrie- und Handelskammer berichtet bei solchen Aktionen von guten Ergebnissen. Betriebe erreichen nicht mehr nur ihre klassische Klientel. Klar: Das ist für Arbeitgeber mehr Aufwand, aber das ist es wert. Sie können dafür sorgen, dass mehr Häuser wie das Theater funktionieren.
Um den Weg zu bereiten, sollten wir vor allem zur Vielfalt in Krefeld stehen. Warum schreiben wir nicht an die Begrüßungstafeln an den Einfahrstraßen, dass in dieser Stadt Menschen aus 159 Nationen leben? Eine Stadt, die ihre Vielfalt stolz zeigt. Das wäre richtig sympathisch.