Eingemeindungen Wie die Stadt Krefeld 1929 gewachsen ist
Krefeld · Wirtschaftliche Überlegungen, die Anbindung an den Rhein und rasant steigende Bevölkerungszahlen waren die Gründe für zahlreiche Eingemeindungen. Zum Stichtag des Gesetzes zur Neugliederung vom 1. August 1929 erzählt die WZ die Geschichte einer wachsenden Stadt.
Für die Uerdinger war die Städtefusion mit Krefeld 1929 wie ein rotes Tuch. Der bekannte Krefelder Fritz Huhnen karikierte am 14. Oktober 1928 die geplante Situation unter dem Titel „Wie auf jeden rechtschaffenen Uerdinger der Name Krefeld wirkt“, in dem er einen preußischen Mann mit großen Krefeld-Tuch zeigt, das er vor einem gehörnten Mann mit Messer in der Hand hin- und herschwenkt. Der Kampf war in vollem Gange.
Noch heute ist dieser Geist zu spüren, wenn Bürger der Stadt am Rhein betonen, sie wären Uerdinger und keine Krefelder. „Bei den heute über 90-Jährigen steht Uerdingen noch als Geburtsort im Personalausweis ebenso wie bei den Hülsern, die mit der letzten Eingemeindung 1970/75 der Stadt Krefeld zugeschlagen wurden“, erzählt Stefan Kronsbein, Verleger und Chefredakteur der Heimat, dem Jahrbuch des Krefelder Vereins für Heimatkunde. Wir nehmen das Gesetz über die Neugliederung des rheinisch-westfälischen Industriegebietes vom 1. August 1929 zum Anlass, über die Krefelder Eingemeindungen in diesem und folgenden Artikeln zu berichten:
Bevölkerung wuchs in 80 Jahren um das Siebenfache an
Die Stadt Krefeld zählte um 1820 15338 Einwohner; das Stadtgebiet umfasst 2079 Hektar, 35 Ar und 53 Quadratmeter. In den folgenden Jahrzehnten stieg die Krefelder Bevölkerung rasant an. 1840: 25 897 Einwohner, 1850: 37 129, 1860: 52 442, 1870: 57 772, 1880: 73 872, 1890 machte die Stadt mit 106 078 den Sprung über die 100 000er-Marke. Zehn Jahre später lag die Zahl schon bei 107668. Grund hierfür war die blühende Samt- und Seidenindustrie, die ausreichend Arbeit bot sowie die im Vergleich zu anderen Städten guten Wohnverhältnisse, die sich auf den Gesundheitszustand und die Langlebigkeit der Bevölkerung vorteilhaft auswirkte.
Die Stadt Krefeld (seit 1872 zudem kreisfrei, also Stadtkreis) konnte dieses Wachstum zunächst durch eine sogenannte „innere“ Stadterweiterung, also den Ausbau des alten, vorhandenen Stadtgebietes, bewältigen. „Die Mehrheit der Krefelder Bevölkerung um 1820 wohnte innerhalb der vier Wälle – abgesehen von der Hofzeile Inrath-Steckendorf-Dießem und den Höfen ,Unter den Linden’ –, bot das übrige Stadtgebiet für das ganze 19. Jahrhundert ausreichend Grund und Bogen, um weitere Wohngebiete zu schaffen und Terrain für Industrieansiedlungen bereitzustellen“, zitiert Kronsbein aus dem „Krefelder Archiv“, Band 4, zu den Krefelder Eingemeindungen. Die Notwendigkeit einer Erweiterung des Stadtgebietes stellte sich also nicht. Daher wurde auch der (dann angeblich gar nicht so gemeinte) Antrag Fischelns auf Eingemeindung im Jahr 1895 in Krefeld sehr zögerlich behandelt. Sie mussten letztendlich bis 1928 warten.
Kanal- und Hafenbaupläne Grund für die erste Eingemeindung
Das Interesse ging zunächst in die östliche Richtung. In den 1890er-Jahren begannen die Stadtoberen, sich eingehend mit Kanal- und Hafenbauplänen zu beschäftigen. Die Wirtschaft war einseitig durch die Textilindustrie geprägt, die sich überdies in einer Krise befand. Deshalb wollte man andere Industrie- und Gewerbezweige, namentlich der Schwerindustrie, zusätzlich ansiedeln. Mit einem Zugang zum Rhein räumte die Stadt diesem Plan bessere Entwicklungschancen ein. „Bereits in den 1870er-Jahren hätte es fast eine Kanalverbindung von Uerdingen nach Venlo (mit Anschluss Richtung Antwerpen, den ,Henket-Plan’) gegeben“, erzählt Kronsbein. Die Zweite Kammer der niederländischen Generalstaaten lehnte mit einer Stimme dieses Vorhaben ab. Daraufhin plante 1896 Baurat Marcks einen Krefelder Hafen am heutigen Sprödentalplatz, der durch einen Kanal mit dem Rhein verbunden werden sollte. Die Stadtverordneten wünschten sich jedoch noch eine Alternative. Der Münsteraner Regierungsbaumeister Hubert Hentrich plante den Krefelder Hafen direkt am Rhein, in der Landgemeinde Linn. Dieser Vorschlag wurde angenommen.
Krefeld stand nun vor der Situation, hohe Investitionen für den Hafenausbau außerhalb des eigenen Stadtgebietes tätigen zu müssen. Daher strebten die Krefelder die erste Eingemeindung mit Linn an und stießen - wenn auch nicht direkt bei allen dortigen Gemeinderatsmitgliedern – auf offene Ohren. Linn zählte im Jahr 1895 1760 Einwohner. 1899 konnten drei Verträge abgeschlossen werden, die Grundsatzfragen und Einzelheiten einer Eingemeindung regelten. Am 19. Juli 1901 trat die Vereinigung Linns mit Krefeld per Gesetz in Kraft. Die räumliche Trennung zwischen Krefeld und Krefeld-Linn durch die Gemeinden Oppum und Bockum-Verberg, die seit dem 1. April 1902 vereinigt waren, ließ es aus Krefelder Sicht sinnvoll erscheinen, sich auch diese einzuverleiben, um wieder ein einheitliches Stadtgebiet zu erhalten.
Oberbürgermeister Dr. Oehler sprach sich daher im Dezember 1905 gegenüber dem Regierungspräsidenten für eine Eingemeindung der Gemeinden Bockum-Verberg und Oppum nach Krefeld aus. Nach einigen Widerständen vonseiten des Krefelder Landrates Limbourg wurden zum 1. Oktober 1907 Bockum-Verberg und Oppum in die Stadt Krefeld eingemeindet. Gleichzeitig wurde die Gemeinde Traar zu einer eigenen Bürgermeisterei erhoben. Mit dieser Eingemeindung erweiterte sich das Krefelder Stadtgebiet um 1967 Hektar, die Einwohnerzahl wuchs um 14557.
In den 1970er-Jahren kommt als letzter Stadtteil Hüls dazu
Krefeld war auf den Geschmack gekommen: Auf der weiteren Wunschliste der Krefelder standen die Umlandgemeinden Uerdingen und Lank, Traar, Benrad, Hüls. Aber auch St. Tönis, der Forstwald und Fischeln wurden gefordert. Ja selbst Willich und Osterath standen auf der Wunschliste. Sicher war man sich bewusst, dass dies Maximalforderungen waren. Immerhin setzte Krefeld die Hälfte davon durch. Es wuchs durch die Neugliederung von 1929 um die bisher selbständigen Gemeinden Benrad, Fischeln, Traar, Gellep-Stratum und Uerdingen und weitere kleine Gebiete der Nachbargemeinden.
Die 1929er-Aktion bedeutete einen Kraftakt für die preußische Regierung. Auch durch die Folgen des Zweiten Weltkriegs dachte niemand in den folgenden Jahrzehnten an Gebietsreformen. Erst 1969 kam es zur ersten Neugliederungsrunde in NRW. Krefeld bekam nur einige kleine Gebiete, nämlich die von Willich weit abgelegene Siedlung Holterhöfe, den Forstwald und Erweiterungsgelände für die Deutschen Edelstahlwerke. Von 1970 bis 1975 gab es unzählige Pläne. Wenn man von Hüls absieht, das endgültig von Kempen abgetrennt und dem benachbarten Krefeld zugeteilt wurde und Teilen der Stadt Meerbusch, wuchs Krefeld 1975 nur um wenige kleine Teile von Kapellen, Rumeln-Kaldenhausen, Vorst und Willich.
Diese lange Geschichte der Eingemeindungen mag der Grund sein, wieso Menschen aus den jeweiligen Stadtteilen innerhalb der Stadt immer noch als erstes ihre Zugehörigkeit zu Uerdingen oder Hüls betonen. Trifft man allerdings außerhalb auf sie, heißt es nur noch: „Ich bin Krefelder.“