Herr Sorg, können Sie uns erklären, was das besondere an Ihrer Arbeit ist? Sie nutzen spezielle Fallen, modifizierte Malaise-Fallen, um Insekten zu ködern, analysieren die Funde immer nach vergleichbarem Muster. Was macht die Methode und die Fallen aus?
Interview „Wir locken die Insekten nicht an“
Interview | Krefeld · Ehrenpreisträger der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, Martin Sorg vom Entomologischen Verein Krefeld, spricht über seine Forschung.
Martin Sorg hat den Ehrenpreis des Deutschen Umweltpreises für Forschungen erhalten, die nachweisen, dass in rund 30 Jahren in Teilen Deutschlands die Insektenbiomasse um mehr als 75 Prozent zurückgegangen ist. Einerseits eine große Bestätigung für seine und die Arbeit des Entomologischen Vereins Krefeld, andererseits sehr besorgniserregende Einsichten.
Martin Sorg: Dass sie eben nicht ködert beziehungsweise anlockt. Sondern in der Lage ist, einen Ausschnitt der Insekten entsprechend deren Flugaktivität – also der Dichte im Luftraum von 0 bis circa 1 Meter Höhe über dem Erdboden – nachzuweisen. Das heißt, eine Insektenart, die mit vielen Individuen an diesem Standortpunkt unterwegs ist, wird in höheren Zahlen erfasst, als eine Art, die dort in geringerer Dichte vorkommt. Wir locken die Insekten nicht an.
Sie haben noch nicht alle Proben untersucht. Es ging ja zunächst um die Gesamtmasse der Insekten. Wie und wann können Sie sagen, wie sich die Zusammensetzung dieser sogenannten Insektenbiomasse verändert hat?
Sorg: Das können wir bereits jetzt schon sagen für bestimmte Insektenfamilien und bestimmte Standorte und Zeitintervalle. So wurden zum Beispiel die Rückgangsdaten für die Insektenfamilie der Schwebfliegen bei bestimmten Standorten im letzten Jahr veröffentlicht. Hiernach kann man sehr genau erkennen, dass zumindest für ausgewählte Standorte und ausgewählte Insektengruppen Verluste an Biomassen ein Vorhersagewert für Verluste an Artenvielfalt sind.
Es muss doch ein merkwürdiges Gefühl sein, selbst Insekten töten zu müssen, um sie zu erforschen?
Sorg: Bei dieser Frage geht es primär darum, ob ein solcher Fallenbetrieb in ausreichend großen Biotopen zu Schäden der Populationen dort ansässiger Insektenarten führt. Wir haben bisher keinerlei Hinweis, der auf solche Schäden hindeutet. Auch hierzu ist natürlich der nicht selektive Fang ohne spezielle Anlockung bestimmter Arten ein wichtiger und nützlicher Beitrag für eine die Populationen der Arten schonende Vorgehensweise.
Wie kamen Sie überhaupt damals auf die Idee, diese besonderen Fallen aufzustellen?
Sorg: Weil wir die Publikationen des US-Entomologen Henry Townes kannten, der diesen speziellen Fallentyp entwickelt und 1972 den Bautyp veröffentlicht hat. Ferner, weil unsere Experimente aus den Jahren 1982 bis 84 so erfolgversprechend waren, dass wir diesen Fallentyp ab 1985 in ganzjährigen Schutzgebietsuntersuchungen erfolgreich eingesetzt haben. Auch zu diesen Einzeluntersuchungen gibt es von uns zahlreiche Publikationen.
Hätten Sie gedacht, dass die Forschungen zu solchen Ergebnissen führen würden? Und was war das ursprüngliche Ziel der Untersuchungen; ging es immer schon um das Insektensterben, was vielleicht vor Jahrzehnten noch kein so brennendes Thema zu sein schien?
Sorg: Unsere Untersuchungen dienten ganz verschiedenen Zielen der Einzelprojekte. Unser Vorteil ist, dass wir die Methodik so weitgehend standardisiert hatten und konsequent über Jahrzehnte diese Standardisierung beibehalten haben. Deshalb sind unsere Daten in solch hohem Maße vergleichbar. Der Begriff „Insektensterben“ trifft nicht die Vielschichtigkeit des Problems. Es geht in vielen Fällen vielleicht auch um reversible Rückgänge in den Mengen beziehungsweise Biomassen pro Raumeinheit. Ferner um Funktionsverluste, die als erheblich schwerwiegendere Folgen Kaskadeneffekte auslösen, die zum Verlust von Arten an diesen Standorten führen können. Daneben aber eben auch um lokale oder gar regionale Aussterbeprozesse von Arten. Letztere können, wenn die Aussterbeprozesse größere Regionen betreffen, irreversible Biodiversitätsschäden sein, die wir unseren kommenden Generationen im negativen Sinne des Wortes nachhaltig vererben.
Was müsste sich Ihrer Meinung nach ändern, damit das Insektensterben gebremst werden kann? Was kann der einzelne Bürger tun?
Sorg: Im Regelfall liegen die letzten Vorkommen der vom regionalen Aussterben bedrohten Insektenarten innerhalb von Schutzgebieten. Hier kann ein Bürger nur positiven Einfluss nehmen, wenn er zufälligerweise Eigentümer oder Bewirtschafter eines Grundstückes innerhalb oder am Rand von Schutzgebieten ist. Gleiches gilt für Grundstücke in Biotopverbundzonen zwischen solchen Schutzgebieten, die so behandelt werden sollten, dass ein Austausch von isolierten Populationen stattfindet. Ansonsten ist natürlich eine Förderung der Artenvielfalt von Insekten auf prinzipiell jedem Grundstück möglich und trifft dort allerdings im Regelfall Arten, die noch nicht in diesem hohen Maße gefährdet sind.
Sie sind mehr als Insektenforscher. Haben Biologie, Geologie-Paläontologie und Chemie in Köln studiert. Promovierten indes schon über eine Wespenfamilie, die Bethylidae. Womit befassen Sie sich noch?
Sorg: Ökologische Untersuchungen, Monitoring, Methodenentwicklung, Koordination von Projekten, Technik im Bereich Fotografie oder auch Mikroskopie und so weiter.
Das ist viel. Und Sie sind rege in der Vermittlung von Naturthemen aktiv. Was sollte heute jedes Kind über Insekten wissen und wie man sie am besten schützt?
Sorg: Bei circa 34 000 Arten in Deutschland – wie soll man da eine solche Frage beantworten? Extrem hilfreich ist heute das Internet in der Wissensvermittlung – wenn denn ein Grundinteresse besteht.
Wie kamen Sie dazu, heute das zu tun, was sie tun? Wann wuchs Ihr Interesse für kleine wie große Phänomene der Natur?
Sorg: Wie viele Entomologen habe ich bereits als Kind angefangen, mit sieben, acht Jahren. Was auch ein großer Vorteil ist, wenn man sich mit den sehr artenreichen Insektenordnungen beschäftigt.
Welche Projekte stehen bei Ihnen zukünftig an?
Sorg: Wie schon in der Vergangenheit ist der Entomologische Verein Krefeld an laufenden Untersuchungs- und Forschungsprojekten – meist in Kooperationen mit anderen Instituten – beteiligt.