Politik Krefelds Vorsitzender der GEW beobachtet IS-Prozess
IS-Terroristen verübten im Oktober 2015 Anschlag. Unter den 107 Opfern waren 23 Gewerkschafter.
Krefeld. Es sind Momente, die Philipp Einfalt wohl nie vergessen wird. Plötzlich fliegen Flaschen, die ganze Wut, die ganze Trauer entlädt sich, hier in diesem Gerichtssaal in der türkischen Hauptstadt Ankara. Der Krefelder ist als Beobachter vor Ort. Geschickt vom 282 000 Mitglieder starken Bundesvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Den IS-Terroristen, die im Oktober 2015 in Ankara mit Bomben 101 Menschenleben ausgelöscht haben, wird der Prozess gemacht. Unter den 107 Opfern waren allein 23 Gewerkschafter. Einfalt trägt die Krefelder Solidarität in die Türkei.
Es ist eine Türkei, die längst nicht mehr das anatolische Urlaubsparadies darstellt. Anschläge erschüttern das Land, zuletzt auch in Krefelds Partnerstadt Kayseri. Es ist auch die Türkei von Recep Tayyip Erdogan, der einen Feldzug gegen all diejenigen führt, die nicht auf AKP-Linie sind. Der freie Medien behindert, tausende Richter und Lehrer entlässt, viele von ihnen einsperrt. Der deutsche Politiker als Nazis beschimpft, der seine Nation spaltet. Auch und vor allem in Krefeld. Philipp Einfalt sagt: „Das spürst du in der Türkei natürlich, die Stimmung ist insgesamt angespannt und bedrückend, an jeder Ecke steht Polizei.“
Krefelds Solidarität geht über die Prozessbeobachtung hinaus. Unter anderem werden zurzeit 800 Mitglieder von Egitim Sen, der GEW-Schwestergewerkschaft, finanziell unterstützt. Sie alle wurden aus dem Lehrerberuf entlassen. „Sehr lange kann eine Gewerkschaft alleine solche Kosten nicht tragen“, meint Einfalt. Auch die GEW hilft hier nach Kräften. Am Rande des Prozesses stehen außerdem viele Gespräche mit Angehörigen der Opfer an.
Im Gerichtssaal eskaliert die Situation plötzlich, als die Namen der Opfer verlesen werden und einer der Angeklagten den Namen eines Selbstmord-Attentäters hinzufügt. Plastikwasserflaschen und Laufstöcke werden von den Nebenklägern aus den hinteren Reihen geworfen. Menschen weinen, andere versuchen, sich über die Bänke und den schwer bewaffneten Schutzwall aus Polizisten und Soldaten hinweg auf die Angeklagten zu stürzen. Die Gruppe um Einfalt sieht sich gezwungen, aus Sicherheitsgründen den Gerichtssaal zu verlassen.
Natürlich spürt der Krefelder auch die Zerrissenheit um die Erdogan-Politik. Aber: „Hier in Krefeld sind die Gräben innerhalb der Community größer. Das merken wir ganz extrem auf den Schulhöfen. Sogar in den Kitas.“ Dort gerieten türkisch stämmige Eltern in Streit, zum Beispiel darüber, ob das Essen der Religion angemessen genug ist. „Da fällt schnell mal das Wort Ungläubige.“ Die Krefelder Schulen leisteten ganze Arbeit. „Viele machen einen guten Job, erklären die unterschiedlichen Präsidialsysteme von großen Nationen. Es geht darum, den türkischstämmigen Schülern eine neutrale Entscheidungsgrundlage zu ermöglichen.“